piwik no script img

■ Urdrüs wahre KolumneGewissen mit Akzent

Womm, das hat im Karton gescheppert! Ganz Gröpelingen bebte, als jetzt auf der Space Park-Baustelle die Betondecken krachend in die Tiefe stürzten, und niemand vermag so recht zu glauben, dass nur ein Schaden von 400 Mille entstanden sein soll, wo sich doch der Zeitplan für die Bauarbeiten um glatt zwei Wochen verzögert. Und eigentlich wollten die Bastelonkel des kosmischen Shopping-Center die mittlere Katastrofe völlig unter den Subventionsteppich kehren – schließlich war bei dem nächtlichen Urknall kein Bauarbeiter oder Sehleut ums Leben gekommen, wie das am Tage wohl unvermeidlich gewesen wäre. Sabotage, menschliches Versagen oder mafiose Baustoffe, wer weiß das so genau. Wink des Schicksals aber ist es dem um solche Zusammenhänge Wissenden allzumal. „Der Eröffnungstermin Herbst 2002 ist nicht gefährdet“: Na, warten wir es ab – das haben die Projektoren und Investoren des Turms zu Babel seinerzeit so ähnlich behauptet, bis ihnen der Große Baumeister in die Pläne spuckte ...

„Ferienträume vom Sex sind Zeitzünder für das Fiasko“, teilt uns der Psychologe Karl-Heinz Vormbrock von der kirchlichen Familienberatung in Bremen über den Evangelischen Pressedienst mahnend mit und empfiehlt auch gleich Jogging, Klettern oder Segeln als angemessene Strategie, dem Leistungsdruck zu entfliehen. „Kalte Duschen und Wadenwickel“, möchte man hilfreich ergänzen und weiß doch, dass Samson in der Hängematte der wahrhaft epikuräische Lehrmeister ist. Leichte tantrische Übungen müssen bei moderaten Temperaturen nicht völlig ausgeschlossen werden! Übrigens traf ich gestern bei schlappen 30 Grad im Schatten ein Mädel im bauchfreien T-Shirt, auf dem der ziemlich irritierende Spruch „Born Pornstar“ mit Pailetten eingestickt war: Freizeitkleidung, die wir auch bei 13-Jährigen nicht zu akzeptieren bereit sind. Aber sag einer mal was dagegen ...

Aus gutem Grund halte ich mich seit einiger Zeit von früher oft zelebrierten Eis & Sahne -Orgien zurück und beschränke mich auf den Genuss von drei oder vier vereinzelten Kügelchen pro Woche – und das, obwohl die Sortenvielfalt inzwischen gebieten würde, jedesmal mindestens drei oder vier Variationen zwischen A wie Apfel und Z wie Zimt zu probieren, will man vor Saisonende auch nur halbwegs über die Breite des Angebots Bescheid wissen. Gestern aber ritt mich der Teufel, sozusagen, und bestellt wurde frei heraus „After Eight, Zitrone und Stracciatella“. Der Gelateria-Mann meines Vertrauens hatte aber schon vorausschauend das mittlerweile übliche kleine Waffelhörnchen ergriffen und hielt mir einigermaßen vorwurfsvoll entgegen: „Das sind dann aber drei Kugeln!“ Mitunter hat die Stimme des schlechten Gewissens auch schon mal einen italienischen Akzent!

Warnen möchte ich ausdrücklich vor der Besetzung des Staatsrats-Posten im Innenressort durch CDU-Geschäftsführer Thomas von Bruch: Wenn es wahr ist, dass dieser Mensch zuvor Abteilungsleiter einer Hamburger Großbrauerei war und damit möglicherweise zuständig gewesen ist für Holsten, Astra und andere Bier-Ersatzstoffe, dann kann man in dieser Personalie auch den Versuch der Hamburger sehen, die grünen Flaschen aus dem Hause Beck vom regionalen Trinkermarkt zu stoßen. Wie können wir diesem Unfug wehren? Und schlage ich stattdessen die Besetzung des Jobs mit einem Vertreter der Schaumburger Privatbrauerei vor: Als Headhunter lasse ich gern hilfreich meinen Einfluss spielen.

Spätestens dem letzten Gedanken merken Sie vermutlich die Urlaubsbedürftigkeit des Verfassers an. Grund, mich für zwei Wochen abzumelden in die nächstbeste Sandburg: als gelernter Hausbesetzer übernehme ich die natürlich aus dem vorhandenen Leerstand! Ansonsten viel Erfolg für die Guerilla-Girls und Boys an allen Fronten!

Ulrich „ Wladimir Iljitsch“

Reineking

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen