Gewerkschaftstag der IG Metall: Traditionelles in Rottönen

Auf dem Gewerkschaftstag diskutiert die IG Metall ihren Kurs. Bundespräsident Wulff geißelt die Finanzmärkte, IG-Metall-Chef Berthold Huber rügt die Bundesregierung.

Jedes zweite Neumitglied ist unter 27 Jahre, aber auf dem Gewerkschaftstag geht es traditionell zu. Bild: dpa

Der Tross Gewerkschafter vor dem Karlsruher Hauptbahnhof ist orientierunglos: Wo steht bloß der Sonderbus? Irgendwer meint, ihn entdeckt zu haben. Im Regen traben die rund 50 IG Metaller auf einen Bus zu - es ist der falsche. Also wieder zurück unter das schützende Bahnhofsvordachdach. Irgendwann sind die richtigen Busse gefunden, die die Gewerkschafter mit ihren Rollkoffern zum Messegelände Karlsruhe direkt neben der Autobahn bringen.

Seit Sonntagabend sind 481 Gewerkschafts-Delegierte und mehrere Hundert Gäste nach Karlsruhe gereist, um eine Woche lang über den Kurs der IG Metall zu debattieren. Pünktlich zum Auftakt des Gewerkschaftstages, der alle vier Jahre stattfindet, rief die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg allerdings zu Warnstreiks bei den kommunalen Verkehrsbetrieben auf.

In acht Städten, darunter Karlsruhe, Freiburg und Baden-Baden, blieben Busse und S-Bahnen in den Depots. "Die Streikbeteiligung liegt bei 100 Prozent", freut sich Verdi-Verhandlungsführer Rudolf Hausmann, der erklärt, man wolle einen eigenen Flächentarifvertrag erstreiken. Bei den IG Metallern sorgten die Warnstreiks für Erheiterung: "Verdi bestreikt uns", ruft ein Mittfünfziger, als er Sonntagabend aus der Schwarzwaldhalle kommt.

Altbarden statt Breakdancer

Dort hatte Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, am Sonntagabend den Gewerkschaftskongress eröffnet. Anders als beim Verdi-Bundeskongress, der vor wenigen Wochen in Leipzig stattfand, setzte die IG Metall dabei vor allem auf traditionelles Kulturprogramm: Statt Rap-Gesang und jungen Breakdancern schmetterten die ergrauten Altbarden Konstantin Wecker und Hannes Wader Lieder in die rot ausgeleuchtete Halle und erfreuten so die vor allem männlichen Delegierten. Dass sich die Gewerkschaft seit einigen Jahren verstärkt um die Jugend bemüht und jedes zweite neue Mitglied der IG Metall mittlerweile jünger als 27 Jahre ist - "Wir sind der größte politische Jugendverband Deutschlands", zieht Vize Wetzel stolz die Bilanz - geht da erst einmal geflissentlich unter.

Bundespräsident Christian Wulff Bilanz lobte kurz darauf die IG Metall für ihre selbst auferlegte Zurückhaltung in der zurückliegenden Tarifrunde während der Wirtschaftskrise: "Sie haben Maß gehalten in Zeiten, in denen anderen jegliches Maß verloren gegangen ist." Der Bundespräsident preist die Gewerkschaften, wie schon in Leipzig auf dem Verdi-Bundesskongress, für den Gemeinsinn und den Zusammenhalt, den sie in der Gesellschaft stifteten und für den Erfolg des deutschen Mitbestimmungsmodells. Der stärkste Applaus brandet jedoch auf, als Wulff auf die aktuellen Verwerfungen an den Finanzmärkten zu sprechen kommt: "Der Bankensektor muss saniert und neu geordnet werden. Durchgreifend und zügig", ruft er in den Saal.

Schelte für den Wirtschaftsminister

IG-Metall-Chef Berthold Huber nimmt den Ball am Montagmorgen auf: "Ich bin entsetzt über das aktuelle Krisenmanagement der Bundesregierung." Spezielle Schelte gibt es für Bundeswirtschaftsminister Philipp Röslers (FDP) Vorstöße zu einer möglichen Insolvenz Griechenlands. Solche öffentlichen Äußerungen heizten die Spekulationen an, kritisiert Huber. "Dieser Mensch will mit einem Streichholz nachschauen, ob noch genügend Benzin im Tank ist." Die Finanzmärkte müssten auf die notwendigen Funktionen für die Realwirtschaft zurückgeführt werden, fordert der IG-Metall-Chef.

Deutliche Kritik übt Huber kurz darauf auch an den arbeitsmarktpolitischen Weichenstellungen: "Was tut die schwarz-gelbe Regierung gegen die Verrohung des Arbeitsmarktes? Nichts!", ruft Huber und zählt auf, dass Union und FDP weder für gesetzliche Mindestlöhne, noch für das Zurückdrängen des Niedriglohnsektors oder die Einführung des Prinzips "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Leiharbeitsbranche einstünden.

Genau diese Ziele, eine "neue, faire Ordnung auf dem Arbeitsmarkt" (Huber) hat sich die Gewerkschaft für die nächsten Jahre auf die Fahnen geschrieben. Dazu gehören für sie unter anderem eine Eindämmung und Regulierung der Leiharbeit, unbefristete Übernahmen für fertige Azubis, die flächendeckende Einführung von betrieblichen Altersvorsorgemodellen sowie flexible Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Beruf für ältere Beschäftigte - wenn nötig deutlich vor dem 67. Lebensjahr. Huber kündigte am Montag zudem im Deutschlandradio an, in der nächsten Tarifrunde 2012 für deutlich mehr Lohn zu streiten: "Dann werden wir wieder Einkommenssteigerungen im beträchtlichem Umfang haben."

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