Gewerkschaftschef über Integration: "Keinen Plan gegen Benachteiligung"
Die Regierung versagt bei der Teilhabe von Einwanderern, sagt GEW-Chef Ulrich Thöne. Sie müsse mehr Mittel in politische Bildung und Zweitsprachenunterricht investieren.
taz: Herr Thöne, Sie waren zum Integrationsgipfel ins Bundeskanzleramt eingeladen. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?
Ulrich Thöne: Nein, ich war enttäuscht. Immerhin hatte sich Merkel den Gipfel ja persönlich zum Anliegen gemacht.
Was hatten Sie erwartet?
Zum Beispiel ein Konzept, wie man diesen Nationalismus in vielen Köpfen - "Deutsche gut, Ausländer schlecht" - überwindet. Nur so entzieht man den Boden für das, was jüngst in Zwickau ans Tageslicht gekommen ist. Die NPD zu verbieten - das alleine ist keine Lösung.
Was wäre denn zu tun?
, 60, leitet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) seit 2005. Für den DGB nahm der gelernte Berufsschullehrer am Dienstag am "Integrationsgipfel" teil.
Eine ganze Menge. Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, auf das wir gemeinsam reagieren müssen. Aber stattdessen wird in der politischen Bildung ja sogar gekürzt.
Was halten Sie von dem "Nationalen Aktionsplan Integration", den die Regierung am Dienstag vorgestellt hat?
Das ist kein wirklicher Plan, der auf ein erkanntes Problem reagiert. Eher ein loses Maßnahmenpaket, mit dem die Öffentlichkeit vertröstet werden soll. Wie ernst man ihn nimmt, sieht man daran, dass etwa das Kapitel Bildung - bis auf zwei kleine Änderungen - identisch ist mit dem Bericht der entsprechenden Arbeitsgruppe aus dem Sommer vergangenen Jahres. Themen wie der Bedarf an mehr gebundenen Ganztagsschulen oder den Ausbau muttersprachlichen Unterrichts werden darin erst gar nicht behandelt.
Die Regierung setzt vor allem darauf, das Erlernen der deutschen Sprache zu fördern. Ist das denn so falsch?
Nein, aber es wird überbetont. Die Haltung ist: Das Kind soll erst mal richtig Deutsch lernen, dann klappts auch in der Schule. Aber ein Drittel aller Kinder mit Migrationshintergrund wird gar nicht hier geboren und steigt erst später ein. Darauf sind wir zu wenig eingestellt. Sprache heißt vor allem, kommunizieren zu können. Daher ist die Beherrschung der Familiensprache für die persönliche Entwicklung wie für das Erlernen anderer Sprachen oft sehr wichtig.
Was fehlt Ihnen noch?
Zum Beispiel Schritte, wie man der Benachteiligung von Migranten aktiv entgegenwirkt. Bewerber mit arabischen oder türkische Nachnamen haben erwiesenermaßen schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als solche, die Meier oder Müller heißen. Das wird man nicht mit Appellen verhindern. Hier muss der Staat zusätzliche Möglichkeiten für eine qualifizierte Ausbildung schaffen. Sonst lässt er eine ganze Generation ins Leere laufen.
Die Bundesregierung will mehr Migranten für den Staatsdienst gewinnen, etwa als Lehrer. Das ist doch gut, oder?
Statt um mehr Bewerber mit Migrationshintergrund zu betteln, sollte sie für mehr Chancengleichheit sorgen. Das Problem ist doch: Weil vor zwanzig Jahren zu wenig Einwandererkinder Abitur gemacht haben, gibt es heute zu wenig Fachkräfte mit Migrationshintergrund. Das ist ein Teufelskreis, dem man nur mit gezielter individueller Förderung und einer besseren Ausstattung von Kitas und Schulen entkommt - gerade in sozial benachteiligten Stadtvierteln.
Kinder von Einwanderern gehen noch immer seltener in die Kitas als andere. Hilft dagegen eine Kita-Pflicht, wie sie Neuköllns Bürgermeister Horst Buschkowsky gerne fordert?
Eine Kita-Pflicht passt nicht so ganz zu unserem Grundgesetz. Aber wir müssen alles tun, um Kitas attraktiver zu machen und bestehende Barrieren zu beseitigen. Deshalb sollten sie unentgeltlich sein, damit gerade Kinder aus sozial schwachen Familien hier willkommen geheißen werden. Das geplante Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken wollen, geht da in eine ganz falsche Richtung.
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