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Gewerkschaften und Guerilla Arm in Arm?

■ Auf den Philippinen mehren sich Anzeichen, daß militante Gewerkschaften zunehmend von der linken „New Peoples Army“ unterstützt werden / Die Guerilla verlegt ihr Aktionsfeld in die Städte / Gewerkschaft bestreitet Verbindung zur KP

Aus Manila Mark Fineman

Jesus Madrinan scheute keine Vorsichtsmaßnahmen, als er in der letzten Wochen von einer Stärkemehl–Fabrik im Hinterland der idyllischen Insel Bohol in die 35 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt fuhr. Zwei Polizisten begleiteten den Wagen des Managers mit dem Gewehr im Anschlag, der Fahrer wurde angewiesen, aufs Gaspedal zu treten. Doch schon wenige Kilometer von dem Betrieb entfernt stoppten Guerillas das Auto und baten Madrigan höflich, auszusteigen, während der Chauffeur mit den Beschützern die Fahrt fortsetzen durfte. Kaum war der Wagen außer Sichtweite, töteten die Angreifer Madrigan mit acht Schüssen in den Kopf. Kurz darauf bekannten sich Guerillaführer offen zu der Tat. Sie hätten „den Kampf der philippinischen Arbeiter für Gerechtigkeit unterstützen wollen“. Denn die Fabrik, deren Vizedirektor der Ermordete war, wurde seit geraumer Zeit bestreikt. Das Attentat, das in einer bislang vom Krieg unberührten Gegend stattfand, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf eine neuen Entwicklung in der philippinischen Arbeiterbewegung: Militante Gewerkschaften werden in ihren Aktionen seit kurzem zunehmend von der linken „New Peoples Army“ (NPA) unterstützt, wobei beide Kräfte ihre Strategien einander annähern. Die NPA, früher weitgehend auf die ländlichen Gebiete fixiert, agiert vermehrt in den Metropolen. Die Gewerkschaften ihrerseits versuchen, die Arbeitskämpfe auch in die kleinen Städte auf dem Land zu tragen. Corazon Aquinos am 14. August getroffene Entscheidung, die Benzin– und Treibstoffpreise zu erhöhen, goß Öl ins Feuer dieser Befürchtungen. Binnen 24 Stunden war die Hauptstadt Manila von einem Streik im öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt. Nach dem Benzinpreis stiegen die Stromtarife, und da auf dem weitläufigen Inselstaat nahezu alle Güter über weite Strecken transportiert werden müssen, wurde die Maßnahme allgemein als inflationsfördernd gewertet. Dementsprechend beschloß der militante Gewerkschaftsdachverband KMU auch sofort, seine Kampagne für eine Erhöhung des Mindestlohns um zehn Peso pro Tag zu verstärken. Mit 57 Peso (rund fünf DM) sind die philippinischen Mindestlöhne unter den niedrigsten der Welt. Arbeiter in über 20 Fabriken traten spontan in den Streik und brachten die Zahl der Arbeitskämpfe für August auf stattliche 61. Viel weniger als im Vorjahr, argumentiert Corazon Aquino, die bei Arbeitern wie Wirtschaftsführern um Verständnis für die „harten, aber unvermeidbaren“ Entscheidungen wirbt. Aber konservative Oppositionelle wie der ehemalige Arbeitsminister unter Marcos, Bals Ople, sehen das ganz anders. „Frau Aquino schaut nur auf die Statistiken. Sie versteht nicht, welches Szenario dahinter steht“, erklärte er kürzlich. „Was wir jetzt beobachten, sind Vorübungen der Guerilla für den Volksaufstand in den Städten. Die philippinische KP plant, bis 1990 eine Situation zu schaffen, in der sie die gesamte Ökonomie paralysieren kann.“ Die KMU, mit 700.000 Mitgliedern zweitstärkster Gewerkschaftsdachverband, hat stets bestritten, Verbindungen zur verbotenen KP oder ihrem militärischen Arm, der NPA, zu unterhalten. Doch gab KMU–Sprecher Nick Elman, Sekretär für Volkskämpfe, jüngst in einem Interview zu: „In den Streikfronten sind oft alle möglichen Leute, die die Arbeiter mit Geld oder Essen unterstützen, und wir wissen nicht immer, wer sie sind.“ Gleichzeitig ist die Rhetorik der Organisation merklich militanter geworden. Viele Gewerkschaftsführer vertreten heute die Ansicht, daß Aquino sich nicht mehr um die Rechte der Arbeiter schere als Marcos, der allein 1977, auf dem Höhepunkt des Kriegsrechts, über 5.000 Gewerkschaften verbieten ließ. Ebenso wie Blas Ople insistiert allerdings Generalstabschef Ramos darauf, daß die KMU von der KP infiltriert sei. Die wirkliche Stärke des Dachverbandes liege nicht in der Zahl der Mitglieder, sondern in seiner Fähigkeit, durch strategisch geschickt geplante Streikaktionen ganze Fabriken oder sogar Wirtschaftssektoren lahmzulegen. Daneben würden systematisch Bummelstreiks in wichtigen Abteilungen lanciert, die in keiner Statistik auftauchten. Für Ople und andere zeigen diese Tendenzen einen Strategiewechsel der radikalen Linken auf den Philippinen an. Bis vor zwei Jahren verließen die KP und die NPA sich fast ausschließlich auf die Strategie von Mao Zedong. Ganze Dörfer wurden ursprünglich von der Guerilla organisiert und auf den verlängerten Volkskrieg vorbereitet, durch den die Städte irgendwann einmal vom Land aus eingekreist werden sollten. „Wir waren verzweifelt, als der Streik begann, und haben ein Telex ans Arbeitsministerium geschickt, damit sie vermitteln“, sagt Alfredo Galan, Bürgermeister der kleinen Provinzstadt Carmen, in der die Stärkemehlfabrik liegt. „Aber sie haben sich geweigert zu kommen. Statt dessen sollten wir nach Cebu fahren (die nächste Großtadt, die mehrere Tagesreisen entfernt ist). Das wollte das Management nicht, und dann war natürlich Funkstille. Noch ist der Streik unblutig, aber wenn es so weitergeht, wird er bald blutig sein.“ Nur vier Stunden später wurde Jesus Madrinan erschossen. Der Streik in der Stärkemehlfabrik in der Kleinstadt Carmen geht weiter.

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