GASTKOMMENTARE: Gewarnt und gemahnt
■ Asyl- und Einwanderungspolitik müssen sachlich und verantwortlich getrennt werden
Sie kamen nicht unerwartet, die Gewalttätigkeiten gegen Ausländer in den neuen und alten Bundesländern. Wer für Ausländer in Verbänden, Initiativen und Kirchengemeinden arbeitet, wußte um das immer abweisendere Klima in Ost und West und hat gemahnt. Ich habe vor Monaten die Bundesregierung und die Parteien auf die drohenden Gefahren von Gewalt und Gegengewalt aufmerksam gemacht, aber man hat die Warnungen nicht ernst genommen. Nun haben die gefährlichen Aktionen jugendlicher Desperados und politisch Irregeleiteter die Politiker aufgeschreckt. Die Lage ist ernst genug, weil sich die Täter mit ihrer „Mutprobe“ auf Zustimmung in der Bevölkerung stützen können, einer Bevölkerung, die man bislang mit ihren Ängsten und Fragen alleinließ.
Notwendig ist die verantwortliche Befassung mit dem Gesamtthema weltweiter Wanderungen. Dafür hatte ich vor zwei Jahren der Bundesregierung vorgeschlagen, eine Sachverständigenkommission einzuberufen mit Vertretern der Ausländer, Parteien, Kirchen, Sozialpartner, Wohlfahrtsverbände, Wissenschaft und der Medien, um eine Konzeption für eine zusammenhängende Integrations- und Migrationspolitik zu erarbeiten. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Nun wird hektisch allein die Frage der Flüchtlinge aufgegriffen und kontrovers diskutiert. Die Folge ist, daß die regierungsseitige Abwehr gegen zu viele Asylsuchende in der deutschen Bevölkerung als Ablehnung aller Ausländer mißverstanden wird und daß die Ankündigung von künftigen Einschränkungen des Asylrechts eine Torschlußpanik auslöst und die Zahl der Zuwanderer erhöht. Vernunft, Weitsicht und Menschlichkeit sind in der Behandlung der Ausländer gefragt. Die Spekulation auf Wählerstimmen sollte durch die Gemeinsamkeit aller Parteien verdrängt werden. Deutschland kann nicht alle notleidenden Menschen der Welt aufnehmen, aber es hat aus seiner Geschichte eine besondere Verpflichtung, politisch, rassisch oder religiös verfolgten Menschen Schutz zu gewähren. Zugleich hat es aufgrund seiner negativen demographischen Entwicklung Bedarf an Zuwanderern. Nur sollte diese geregelt, mit festgelegten Quoten erfolgen.
Deshalb muß in der Ausländerfrage endlich Klarheit geschaffen werden: 1.In der heutigen Welt ist die Wanderung von Menschen normal. Sie ist durch die Wirtschaftsverflechtung, die weltweite Arbeitsteilung und die Freizügigkeit innerhalb der EG vorgezeichnet. 2.Mit dem drastischen Geburtenrückgang seit 1969 ist in Deutschland eine Zuwanderung von Ausländern in bestimmten Bereichen von Produktion und Dienstleistung unumgänglich. 3.Die Verantwortung der Industriestaaten für die Länder der dritten Welt erfordert verstärkte Hilfe. 4.Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft müssen sich gemeinsam vor die angegriffenen Ausländer stellen und zur Meinungsbildung in der Bevölkerung beitragen, damit ein Klima geschaffen wird, das den Forderungen des Grundgesetzes gerecht wird — die Würde aller Menschen zu achten. Liselotte Funcke
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