: Gesucht wird: Der unsichtbare Dritte
Um den auf die RAF angesetzten V-Mann Klaus Steinmetz zu schützen, sucht das Bundeskriminalamt in einem Frankfurter Wohnprojekt hemmungslos nach Terroristen ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) – Die beiden sichergestellten Koffer hatten es in sich. „Die in den Motorradtaschen gefundenen Sprengstoffkomponenten“, hielt das Kriminaltechnische Institut Wiesbaden in einer Expertise fest, „waren in so hoher Konzentration vorhanden“, daß man „die Menge als ungewöhnlich hoch bezeichnen kann.“
So ungewöhnlich wie die Sprengstoffspuren waren auch die Besitzverhältnisse: Als am 27. März vor über zweieinhalb Jahren der Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt von einem Kommando der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) in die Luft gejagt wurde, gehörten sie wie das dazugehörige Motorrad der Marke Suzuki einem Mann in Wiesbaden mit dem Namen Steinmetz. Jenem Klaus Steinmetz, der drei Monate später die Fahnder zur Komandoebene der RAF führen sollte, der dann als Mitarbeiter des rheinland- pfälzischen Verfassungsschutzes geoutet wurde und dessen Treffen mit den RAF-Mitgliedern Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld auf dem Bahnhof in Bad Kleinen am 27. Juni in einem beispiellos desaströsen Polizeieinsatz endete.
Auf Klaus Steinmetz war zum Zeitpunkt des Knastanschlages auch ein Pkw der Marke Honda Civic zugelassen. Der Wagen wurde am 2. Februar 1994 in der Wiesbadener Innenstadt, das Motorrad sechs Wochen später am 14. März auf einem Parkplatz an der Autobahn zwischen Darmstadt und Frankfurt sichergestellt. Die Chemiker des Bundeskriminalamtes fanden: In dem Pkw fanden sich Spuren des Explosivstoffes Nitropenta, an dem Motorrad Spuren gewerblichen Sprengstoffes.
Vergleichbare Spurenkomponenten wurden auch an dem Tatort des Sprengstoffanschlages auf die JVA Weiterstadt nachgewiesen. Daraus folgerten die Kriminalbeamten: „Die genannten Ermittlungsergebnisse begründen den Verdacht, daß bislang unbekannte Mitglieder oder Unterstützer der Roten Armee Fraktion den Pkw und das Motorrad des Klaus Steinmetz benutzt haben und möglicherweise Sprengstoff transportierte haben.“
Merkwürdig nur: V-Mann Steinmetz sollte als potentieller Unterstützer oder gar als unbekanntes RAF-Mitglied erst gar nicht in Frage kommen. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der „Nichtanzeige von Straftaten“ (gemeint ist, daß Steinmetz sein Wissen um den geplanten Anschlag in Weiterstadt gegenüber dem Verfassungschutz verschwiegen haben könnte) war bereits am 18. Januar eingestellt worden. Und nach der Sicherstellung der beiden Fahrzeuge ermittelte die Bundesanwaltschaft nicht gegen deren Besitzer, sondern gegen „Unbekannt“.
Andrea W., eine frühere Bekannte von Steinmetz, erwarb das Motorrad aus der Hinterlassenschaft des Spitzels. Sie wohnt in Frankfurt in einem Wohnprojekt in der Fritzlarer Straße. Nach der Beschlagnahme der Suzuki dient der Kauf des Motorrades als Vorwand für die erste großangelegte Hausdurchsuchung in dem Wohnprojekt. In deren Verlauf werden auch Zündschlüssel, Fahrzeugschein und -brief der Maschine sichergestellt – und die beiden Motorraddkoffer, in denen die Kriminaler wenig später die Sprengstoffspuren in „ungewöhnlich hoher Konzentration“ feststellen.
Diese Sprengstoffhinweise führen dann zu weiteren Hausdurchsuchungen, die BewohnerInnen werden als ZeugInnen vorgeladen. Ende November dringen 50 Polizisten in das Haus ein, stellen Wohnungen und den Keller auf den Kopf. Auf der Suche nach weiteren Sprengstoffspuren nehmen die Beamten Staubproben, über 50 Taschen und Rucksäcke werden beschlagnahmt.
Bis Dezember letzten Jahres folgen noch drei Durchsuchungen. An den beschlagnahmten Gegenständen finden sich sogenannte Mikrospuren von Sprengstoffkomponenten. Nach der Untersuchung von zwei Taschen und einem Paar Handschuhen räumte das Kriminaltechnische Institut Wiesbaden in einem Gutachten aber ein: „Die nachgewiesenen Spuren sind so gering, daß eine weitere Auswertung nicht möglich ist.“
So bleiben als handfeste Indizien für eine mögliche Beteiligung der BewohnerInnen des Wohnprojektes beim Sprengstoffanschlag in Weiterstadt nur die beiden Motorradkoffer. Nach Akteneinsicht stellten die ProjektbewohnerInnen fest, daß der V-Mann Steinmetz im Frühjahr 1994 zu seinen Fahrzeugen vernommen wurde. Ausweislich der Akten bestritt er dabei, die beiden Motorradkoffer jemals besessen zu haben. „Eine glatte Lüge“, erklärte einer der früheren Mitbewohner von Steinmetz. Die Projektmitglieder behaupten weiter, daß die beiden Koffer, die laut Beschlagnahmebeschluß „keinem bestimmten Bewohner zugeordnet werden“, weder benutzt noch geöffnet wurden.
Gegen Andrea W. ermittelt die Bundesanwaltschaft mittlerweile wegen der Unterstüzung einer terroristischen Vereinigung und wegen der möglichen Beihilfe beim Srengstoffanschlag auf die Haftanstalt Weiterstadt. Seit August ist sie aber für die Karlsruher Behörde nicht zu finden. In einem offenen Brief hinterließ sie: „Die Situation ist für mich nicht mehr überschau- oder einschätzbar.“ Vier der MitbewohnerInnen von Andrea W. wurden am 12. und 14. Dezember für fünf Monate in Beugehaft genommen. Sie hatten sich geweigert, vor der Bundesanwaltschaft Angaben im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Andrea W. zu machen.
Welche Rolle der V-Mann Steinmetz beim Weiterstadt-Anschlag gespielt hat, konnte auch ein Untersuchungsausschuß des hessischen Landtages nicht aufklären. Die Bundesanwaltschaft wollte gestern auf Anfrage keine Auskunft darüber geben, ob sie gegen Steinmetz ermittelt oder nicht. Grund genug hätte sie.
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