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■ Staatsbürgerschaft: Nach dem Scheitern der bisherigen konservativ-liberalen Reformversuche sind neue Ideen gefragtGesucht: Ein neuer Generationenvertrag

Nach dem Machtwort des Kanzlers vom vergangenen Wochenende wird die Bundestagssitzung am Donnerstag allem Koalitionsgeplänkel zum Trotz nur noch bestätigen können, was seit Wochen aus der CDU zum Staatsbürgerschaftsrecht verlautet. Zwar hatten junge CDU-Abgeordnete einen Reformvorschlag entworfen, der bei den Medien, grünen KollegInnen und natürlich auch bei der FDP Wohlgefallen fand. Aber alles Warten nützte nichts, und auch ein angedrohter interfraktioneller Antrag unter Einschluß einsichtiger Unionisten bleibt wohl ein Papiertiger. Die „jungen Wilden“, so ein Berichterstatter über den CDU-Kongreß in Leipzig, sind „ruhiggestellt“.

Bei nüchterner Betrachtung war der Stoff, aus dem die Reformträume waren, ohnehin recht dünn: Die „jungen Wilden“ forderten die Gleichstellung von nichtdeutschen Kindern mit den deutschen – schön und gut. Aber mit 18 Jahren sollten sie sich für einen Paß entscheiden – in der Regel zu früh, um eine elternunabhängige Entscheidung treffen zu können. Zudem sollte diese Regelung erst für die Generation gelten, die in Deutschland geboren ist. Für die nicht hier geborene erste Generation ändert sich demzufolge außer einer Verkürzung der Einbürgerungsfrist erst mal nichts Entscheidendes.

Daß der hochgelobte Entwurf der „jungen Wilden“ nicht als Minimalkonsens erkennbar wurde, hat auch mit dem weitgehenden Verzicht auf eine differenzierte Kritik seitens der zuständigen Bündnisgrünen zu tun. Diese wohlmeinende Zurückhaltung hat dem Projekt womöglich sogar geschadet. Wenn Kanther eine Übereinstimmung von Grünen und CDUlern behaupten kann, trägt dies nach dem überkommenen Freund-Feind-Schema in der Unionsfraktion nicht eben zur Verbesserung der Durchsetzungschancen bei. Aber auch andere wurden verprellt: Was mögen wohl jene zwei Milionen Unterzeichnende des „Referendums doppelte Staatsbürgerschaft“ denken, wenn der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir eilfertig erklärt, an der doppelten Staatsbürgerschaft“ werde eine Reform nicht scheitern?

Die schwarz-grüne Reformdebatte hat auch der FDP eine unverdiente Schonzeit verschafft. Noch immer kommt sie mit der billigen Ausrede davon, die Staatsbürgerschaftsfrage sei keine Gewissensentscheidung. Warum aber sind der Umzug nach Berlin, Paragraph 218 und die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe „eindeutig“ solche Gewissensfragen, die Weichenstellung des künftigen Zusammenlebens von Menschen deutscher und nichtdeutscher Herkunft jedoch nicht? Die öffentlich verkündete Forderung einiger FDP-Abgeordneter, die Abstimmung über die Staatsangehörigkeit im Bundestag freizugeben, ist nichts weiter als ein Feigenblatt mit der Aufschrift „Möchten hätten wir schon gerne wollen, nur dürfen haben wir uns nicht getraut“. Im Klartext: Natürlich werden diese Abgeordneten sich in ihrer übergroßen Mehrheit wieder gegen ihr Gewissen und für den Koalitionsfrieden entscheiden.

Die Konsequenzen des Debakels sind absehbar. Der weitere Rückzug von enttäuschten Nichtdeutschen in ethnische Nischen und ein Grundmißtrauen gegenüber dem deutschen Staat. Nachdem nun zu allem Übel – auf Druck der Bundesregierung – die türkische Regierung die bisher ermöglichte „Doppelstaatsbürgerschaft durch die Hintertür“ nicht mehr gewähren will, wird die Neigung zur Einbürgerung bei den türkischstämmigen MigrantInnen vermutlich sogar zurückgehen. Die Selbstethnisierung insbesondere bei der nachwachsenden Generation wird dagegen weiter zunehmen – für zynische Konservative dann ein Zeichen für die mangelnde Integrationsbereitschaft der „Ausländer“.

Jetzt nicht mit doppeltem Schwung weiterzudenken, wäre politische Kapitulation. Neue Anstöße müssen mehreres auf einmal leisten: Vertrauen bei den Nichtdeutschen bilden und zugleich dem Mißtrauen bei der verunsicherten und nun auch noch diesbezüglich angeschröderten deutschen Bevölkerung entgegenwirken.

Ich schlage vor, als Kompromißlinie für neue Mehrheiten mehrere Elemente zu kombinieren. Die Großzügigkeit der weiterhin sachgerechten bündnisgrünen Programmatik, kombiniert mit dem grundsätzlichen Ziel der Vermeidung von doppelten Staatsangehörigkeiten, wie sie auch von aufgeschlossenen Unionisten gefordert wird. Das könnte dann so aussehen: Die Frist für einen Anspruch auf Regeleinbürgerung wird von 15 auf 10 Jahre verkürzt – Konsens bis in die Reihen der Union. Alle Kinder von nichtdeutschen Eltern, die einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland besitzen, erhalten automatisch einen deutschen Paß zusätzlich zu ihrem bisherigen. Da dies ein Anspruch ist, können die Eltern dies – anders als von den früh gezähmten „jungen Wilden“ vorgeschlagen – auch nicht zurückweisen.

Ein Optionszwang, sich für einen Paß zu entscheiden, entstünde frühestens mit Ablauf des 25. Lebensjahres – in einem Alter, in dem die meisten jungen Leute auf eigenen Beinen stehen. Auch dies dürfte bis in die Reihen der Union hinein vermittelbar sein, selbst bei Aufgabe der realitätsfremden Unterscheidung von zweiter und dritter Generation, mit der ärgerlicherweise auch die SPD operiert. Zusätzlich müßte den seit Mölln, Rostock und Solingen beunruhigten und entfremdeten EinwanderInnen ein großherziges Angebot für ihre Zugehörigkeit zu diesem Land gegeben werden: etwa für alle, die dies in den nächsten 15 Jahren beantragen, die doppelte Staatsbürgerschaft, wenn sie seit zehn Jahren legal ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden haben. Für die Wächter des deutschen Staatswesens bliebe die beruhigende Gewißheit, daß nicht auf alle Zeiten eine unüberschaubare Zahl von VielstaatlerInnen entstehen würde. Und der multikulturellen Gesellschaft bliebe eine halbe Generation Zeit, ihr Zusammenleben in einem weiter zusammenwachsenden Europa human und vertrauensvoll zu gestalten.

Dieser interkulturelle Generationenvertrag ist nur ein Denkanstoß. Aber die Zeit drängt. Wenn im Herbst 1998 eine rot-grüne Mehrheit im Parlament entsteht, muß sie handlungsfähig sein. Bisher ist „nur“ das politische Establishment an den Anforderungen der multikulturellen Gesellschaft gescheitert. Der Keim einer toleranten und zugleich konfliktfähigen Zivilgesellschaft ist trotz rauherem Umfeld weiterhin intakt. Wie lang noch? Özlem Isfendiyar

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