: Gestutzte Stutzen
Vom Wadenkleid des Mannes im Fußballsporte. Der Wahrheit-Mode-Essay
Modisch gesehen ist die Wade eine weitgehend unbeachtet gebliebene Körperregion des Mannes. Zu Unrecht, wie wir meinen, dämmert das haarige Niemandsland zwischen Knie und Ferse, diese muskulöse Terra incognita des Männerkörpers, im Dornröschenschlaf des modischen Vergessens dahin und wartet darauf, endlich von einem innovativen Strumpfmodendesigner wachgeküsst zu werden. Höchste Zeit also, dezent auf ein altehrwürdiges Kleidungsstück hinzuweisen, das die Hervorhebung der Wade schon seit Jahrhunderten auf seine „Fahne“ geschrieben hat – den Stutzen.
Beim Stutzen handelt es sich eben nicht nur um ein überraschtes Innehalten, sondern – und darum soll es hier vor allem gehen – um eine vergleichsweise kurze Wadenbedeckung, die die Unterschenkelmuskulatur des Mannes äußerst wirkungsvoll zur Geltung zu bringen vermag. Heute als Wadenkleid des Mannes nur noch selten anzutreffen, waren die früher meist wollenen, oft mit verzierenden Ornamenten versehenen Wadenstrümpfe ursprünglich typisch für die Volkstracht im süddeutschen und besonders alpenländischen Raum.
Außerhalb des Münchner Oktoberfestes, gebirglerischen Brauchtumsveranstaltungen und CSU-Klausuren in Wildbad Kreuth werden Stutzen heute jedoch fast nur noch auf dem Sportplatz getragen. Hier ist vor allem der funktionelle Aspekt gefragt: In Anbetracht ihrer unbestreitbaren Vorzüge haben sie sich im Laufe der Zeit vor allem im Bereich des Fußballsports flächendeckend durchgesetzt.
In ihrem äußeren Erscheinungsbild zeichnen sich Fußball-Stutzen dadurch aus, dass sie keine Füßlinge haben, sondern nur einen Riemen, der das Hochrutschen verhindert. Stutzen werden über Strümpfe und Schienbeinschoner gezogen. Der heute aus Kunstfasern bestehende Schaft endet nicht auf halber Wadenlänge, sondern reicht bis zum Knie. Man spricht vom sogenannten Stutzenschaft, im Gegensatz zur „halbgeschäfteten“ Socke oder dem „vollgeschäfteten“ Ganzbeinling, der als Strampelhose allerdings eher im Kleinkindbereich zum Einsatz kommt. Vielleicht ist aber gerade das Verharren mancher Spieler in dieser frühkindlichen Entwicklungsphase auch der Grund, dass sie ihre Stutzen gern mal bis über die Knie ziehen.
Der Stutzen ist für den Verteidiger, insbesondere beim harten Tackling, unverzichtbar. Seine schützende Funktion ist aber auch für den Stürmer bei der Torjagd oder beim Nachsetzen im Strafraum von Vorteil. Gerade bei der Blutgrätsche verhinderte der Stutzen jahrzehntelang das Rotfärben des Grüns, bis die Blutgrätsche schließlich verboten wurde. Trotzdem besitzt der Stutzen auch heute noch eine praktische Blutsaugefunktion.
Die geringere Gesamtlänge des Stutzens im Vergleich zum Ganzbein-Vollschutz birgt allerdings auch Nachteile, die der Spieler kennen und berücksichtigen muss. Besonders Tritte gegen den Oberschenkel machen sich, weil sie nicht abgemildert werden, stärker bemerkbar. Die geringere Schaftlänge wirkt sich andererseits auf die Bewegungsfreiheit des ballführenden Spielers oder die Präzision eines Schusses eher positiv aus.
Heutzutage werden die weitaus meisten Stutzen in Kunstfaserausführung angeboten. Beim Halteriemen dominieren bewährte Befestigungssysteme wie das System Hoeneß 74 und seine Derivate, bei dem doppelgenietete Gummibänder zum Einsatz kommen. Allerdings existieren auch Klettverschlussversionen, die einen besonders sicheren Halt garantieren. Hier ist an die berühmten Beckenbauer-Produktlinien 66S, 74 GTI und 90er TwinTurbo zu denken, in jüngster Zeit bietet auch Miroslav Klose seine Baureihe R06 als doppelgeschäfteten Klettband-Stutzen mit „Close“-Technologie und Anti-Rutsch-Beschichtung an. Vorteilhaft ist hierbei, dass durch Verwendung innengenoppter High-Tech-Materialien die normale Stutzenlänge während des Spiels auch bei härtestem Einsatz und widrigsten Bodenverhältnissen annähernd beibehalten und so die unschöne „Halbmast“-Optik am Bein des Spielers vermieden werden kann.
Bei der übermorgen startenden Bundesligasaison bietet sich nun die Chance, die sportlichen Funktionselemente der Stutzen mit jahrhundertealtem Gewaltverzichts-Brauchtum fernöstlicher Provenienz zu verknüpfen. Wie aus FC-Bayern-Kreisen zu hören ist, will der deutsche Rekordmeister ein Buddha-Logo aus roten und weißen Swarovski-Steinen auf die Stutzen sticken lassen, um mit diesem bajuwarisch-buddhistischen Stutzendesign bundesligaweit die Philosophie der Ära Klinsmann zu kommunizieren. Spötter sprechen nur noch vom neuen Bayern-Stutzstrumpf. RÜDIGER KIND