■ Gestern wurden in Guatemala feierlich 35 Jahre Bürgerkrieg zwischen Guerilla und Regierung beendet: Die Saat des Friedens
Gestern wurde in Guatemala ein „Vertrag über einen dauerhaften Frieden“ unterzeichnet – und alle scheinen glücklich. Unternehmerverbände hoffen auf internationale Geldspritzen und ein beruhigtes Investitionsklima, Basisgruppen und oppositionelle Kreise auf Möglichkeiten politischer Mobilisierung ohne das Damokles- schwert der Repression. Die natürlichen Feinde eines guatemaltekischen New Deal, die traditionellen Oligarchen und ihre politischen wie militärischen Interessenvertreter, halten sich diskret zurück, und auch der Guerillaverband URNG kann seine mühsam ausgehandelte „Wiedereingliederung ins zivile Leben“ als Erfolg verbuchen.
Die Guerilla hat im Laufe von fast sechs zähen Verhandlungsjahren mehr erreicht als nur die eigene Legalisierung. Im Unterschied zum benachbarten El Salvador, in dem die – militärisch ungleich stärkere – FMLN nach 13 Jahren Bürgerkrieg kaum mehr als die Verwandlung in eine heute fast bedeutungslose Partei erreichen konnte und die „Früchte des Friedens“ an die Rechte abtreten mußte, hat die URNG Chancen, sich an der Ernte zu beteiligen.
Die Abkommen, auf die sich Guerilla und Regierung im Lauf der Jahre geeinigt haben, sind dafür allerdings kaum mehr als eine Saat. Maya-Bewegungen kritisieren etwa die Einigung über die „Rechte der indigenen Völker“ wegen ihrer kulturalistischen Ausrichtung und dem Mangel an expliziten Autonomierechten. Und das umstrittene „sozioökonomische Abkommen“ wie auch die begrenzte „Wahrheitskommission“ sind Ausdruck des Widerstands der nach wie vor Mächtigen im Lande: der Agraroligarchie, die sich erfolgreich gegen alle Ansätze zur Agrarreform wehrte, wie auch der Streitkräfte, die keine Aufarbeitung ihrer blutigen Vergangenheit befürchten müssen.
Und dennoch: Mit den Texten hat die noch wenig artikulierte legale Opposition erstmals etwas in der Hand, was im Nachkriegsguatemala als eine Art einklagbares kleines „Grundgesetz“ funktionieren könnte. Eine der derzeit meistgestellten Reporterfragen an die comandantes der Guerilla lautet, ob sich denn für ein derart bescheidenes Programm dreieinhalb Jahrzehnte Kampf überhaupt gelohnt hätten. Die Frage ist so kaum beantwortbar und im Grunde auch falsch gestellt. Denn war der Gang in die Berge in den sechziger Jahren noch eine bewußte Entscheidung, die heute selbst in liberalen Kreisen als gerechtfertigt gilt, so blieb den Guerilleros spätestens seit der Politik der verbrannten Erde der Armee Anfang der achtziger Jahre – in deren Verlauf über 400 Indiodörfer in gigantische Friedhöfe verwandelt wurden – gar keine andere Wahl.
Berechtigt erscheint dagegen die Frage, ob das formale Ende des letzten und längsten Guerillakrieges Zentralamerikas auch das Schlußwort zur langen Geschichte bewaffneter Bewegungen in der Region bedeutet. Gemeinhin wird sie mit „Ja“ beantwortet. Aber Zweifel an der These vom neuen Zeitalter der Zivilität sind nicht nur unter Hinweis auf Kolumbien, Chiapas oder auch wieder Peru anzumelden. Auch in friedlichen oder befriedeten Regionen gibt es im Zuge ökonomischer Globalisierung eher wieder mehr Gründe für den bewaffneten Kampf.
Wirklich verändert haben sich die Methoden von Aufständischen im Medienzeitalter: Wichtiger als militärische Schlagkraft erscheinen heute mediale Strategien. Diesen Übergang vom Prinzip der Klandestinität zu dem der öffentlichen Subversion symbolisieren die mexikanischen Zapatistas: keine andere „Guerilla“ zuvor hat sich so sehr der Kommunikation als subversiver Energie bedient. Ihr offizielles Gegenüber, Mexikos Regierungspartei PRI, haben die Zapatisten nicht so sehr mit Waffen- denn mit Wortgewalt an den Verhandlungstisch gezwungen. In diesem Sinne gehört der guatemaltekische Bürgerkrieg wohl möglich tatsächlich einer vergangenen Zeit an.
Von althergebrachter Revolutionsrhetorik haben sich beide Guerillas längst verabschiedet, weder in den Texten der URNG noch im zapatistischen Diskurs ist von Sozialismus und Klassenkampf die Rede. Wenn auch aus verschiedenen Gründen: Hatten sich die guatemaltekischen comandantes im Zuge der Verhandlungen als Meister der Realpolitik bewährt – „mexikanische Verhältnisse wären für uns schon eine Revolution“, meinte comandante Gaspar Ilóm in einem taz-Interview – so steht die EZLN für viele ihrer AnhängerInnen für eine Wiederbelebung des utopischen Denkens, das auch mit den Schemata der traditionellen Linken brechen will.
Entsprechend unterschiedlich sind die politischen Perspektiven in der Legalität. Die URNG will sich ab nächstes Jahr als Einheitliche Revolutionspartei (PRU) an den Wahlen beteiligen. Den Zapatistas geht es statt dessen um den langfristigen Aufbau eines „zivilen Zapatismus“, der die politische Kultur des Landes „von ganz unten“ revolutionieren will.
Die Ausgangsbedingungen sind für beide Bewegungen denkbar unterschiedlich. Mit dem zapatistischen Auftritt vor fast genau drei Jahren brach in Mexiko die jahrzehntelang gepflegte Fiktion eines „sozialen Friedens“ endgültig in sich zusammen. Dagegen hoffen die erschöpften Guatemalteken auf ein Ende des fast vier Jahrzehnte andauernden zermürbenden Bürgerkriegs. Die allseits beschworene „nationale Versöhnung“ ist verständliche Wunschvorstellung. Aber nicht wirklich realistisch: Schon in anderen Ländern hat sich „Versöhnung“ als Kleister für reale Interessenkonflikte herausgestellt.
So sollte der Friedensvertrag in Guatemala vorerst als eine Art „Nichtangriffspakt“ gelesen werden. Statt um Versöhnung kann es bestenfalls um eine Zivilisierung der Konfliktaustragung gehen. Ein Beispiel dafür ist die brisante Steuerfrage: Ob die Oberschichten endlich dazu gebracht werden können, ihren Anteil am Staatshaushalt beizutragen, wird davon abhängen, welchen Druck gesellschaftliche Gruppen inner- und außerhalb des Parlaments entfalten können. Aus der Finca muß zunächst ein Rechtsstaat werden, bis zur Demokratie ist es dann noch „ein sehr weiter Weg“, wie der Zeitungsmacher José Ruben Zamora sagt. Die sei überhaupt erst vorstellbar, wenn „80 Prozent der Bevölkerung nicht mehr ständig darüber nachdenken müssen, was sie morgen zu essen kriegen“.
Das gilt für ganz Lateinamerika: Wenn die marktliberale Modernisierung weiter einen Großteil der Menschen schlicht aus den Kalkülen kippt, dann dürften die sozialen Kämpfe zwangsläufig wieder an Zivilität verlieren. Anne Huffschmid
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