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Gesichtswahrungskompromiß

■ betr.: "Metaller: Traumziel auf 1995 terminiert", "Eine gefährliche Chance" (Kommentar von Martin Kempe), taz vom 5.5.90

betr.: „Metaller: Traumziel auf 1995 terminiert“, „Eine gefährliche Chance“ (Kommentar von Martin Kempe), taz vom 5.5.90

Wir finden es bedauerlich, daß auch die taz dem IGM-Vorstand und der Verhandlungskommission Nordbaden/Nordwürttemberg „solidarisch“ beispringt, wenn es darum geht, einen bloßen tarifpolitischen „Gesichtswahrungskompromiß“ öffentlich als Erfolg zu vermarkten. (...)

Ein Mehr an individueller Zeitsouveränität kann es nur mit kollektiven Rahmenregelungen geben, die die reale individuelle Verfügung gegen den Zugriff der Arbeitgeber sichern. Es gibt diesbezüglich langjährige Erfahrungen mit Gleitzeit: Je nachdem, wie sie geregelt ist, kann sie entweder ein tatsächliches Instrument individueller Zeitsouveränität sein oder aber ein Instrument zur Auspressung unbezahlter Mehrarbeit; dann nämlich, wenn letztlich die Chefs mit dem diskreten Charme „betrieblicher Erfordernisse“ und unter Andeutung dessen, was gegebenenfalls karrierefördernd sein könnte, bestimmen, wer wann wie gleitet und ob überhaupt. Auf diese Weise erhielt zum Beispiel Toyota in Köln in einem Jahr 40.000 Stunden unbezahlter Mehrarbeit.

(...) Was es für die „Vereinbarkeit“ von Erwerbs- und Hausarbeit und damit für die Beschäftigungschancen von Frauen gerade auf den höherqualifizierten Jobs bedeutet, wenn jetzt wieder 40 Stunden gearbeitet wird, brauchen wir der taz wohl nicht weiter ausführen.

Das Verhandlungsergebnis ist deshalb in der IGM -Mitgliedschaft verkaufbar, weil die KollegInnen mittlerweile den Arbeitskampf mehr fürchten als die Arbeitgeber (Drohung: Wenn wir das nicht annehmen, müssen wir streiken; § 116, etc.) und weil die „Erfolgspropaganda“ sie im Gefühl tiefer Defensive bestätigt, so daß die Chance, mit einer Streikbewegung die gegebenen Kräfteverhältnisse tatsächlich zu ihren Gunsten zu verändern, nicht mehr sichtbar scheint. Das Verhandlungsergebnis könnte ebensogut als „Arbeitgeberprovokation“ gewertet werden:

-Drei Jahre Arbeitszeitpause bis 1993 - wie von Gesamtmetall ursprünglich gefordert - trotz fortwährender Massenerwerbslosigkeit auf dem Höhepunkt eines Booms, auf die im nächsten Konjunktureinbruch draufgesattelt werden wird, trotz fortschreitenden Job-killings durch Rationalisierung.

-Arbeitszeitpolitische Deregulierung und Flexibilisierung für 18 Prozent der Beschäftigten, die „frei wählen“ sollen, ob sie ohne Mehrarbeitsvergütung länger arbeiten oder sich lieber aufs Arbeitgebersteckenpferd der „variablen Jahresarbeitszeit“ (das heißt Unterwerfung der Wochenarbeitszeit unter die „betrieblichen Erfordernisse“ der Konjunktur) setzen. Damit wird eine neue Qualität kapitalorientierten „Umbaus“ der Erwerbsarbeit und des Abbaus von Tarifverträgen eingeläutet.

-Festschreibung der wesentlichen Manteltariffragen (darunter zum Beispiel auch Mehrarbeitsbegrenzung) bis 1998, womit einer demokratischen Beschlußfassung der IGM über die Tarifschwerpunkte der neunziger Jahre auf kaltem Weg vorgegriffen wird (die IGM-Frauen fordern bekanntlich das Fortschreiten zum Sechstundentag).

-Unter diesen Bedingungen noch ein Angebot an Einkommensverbesserung, das den „Verteilungsspielraum“ 1990 nicht annähernd ausschöpft.

-Insgesamt: Eine Aufforderung zum Ausstieg aus der „solidarischen Tarifpolitik“, die die elementaren Interessen von Erwerbslosen und Frauen auf dem Weg zu einer emanzipatorischen Arbeitszeitgestaltung mit mehr Zeitsouveränität nicht abkoppeln lassen will.

Mit einer solchen Darstellung könnte Franz Steinkühler Streikbereitschaft zur Änderung von Kräfteverhältnissen herstellen - wenn er denn gewollt hätte.

Daniel Kreutz (IGM-BRV, Mitgl. Tarifkom. Schlosserhandwerk NRW), Annette Bruland (Mitgl. Ortsfrauenausschuß u. Vertreterversammlung Vvst, Köln)

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