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GesellschaftWo bleibt bloß der Skandal?

Es dürfte ein herausragendes Monument für den Bauernkrieg werden. Fast zehn Meter hoch. Geschaffen hat es Peter Lenk. Das gefällt dem Lokalblatt gar nicht.Ihm erscheint der „Skandal-Bildhauer“ als berüchtigter Künstler. Der Oberbürgermeister ist begeistert.

Probeaufbau am Bodensee: Ein Karren voller Gebeine krönt das Denkmal, in luftiger Höhe legt Peter Lenk letzte Hand an. Fotos: Joachim E. Röttgers

Von Josef-Otto Freudenreich

Er wird doch nicht altersmilde geworden sein. Peter Lenk, 77, der ewige Provokateur. Müssen wir uns Sorgen machen?

Kein nackter Kretschmann mehr, der mit den Zügen ringt. Kein Pimmel am taz-Haus, der „Bild“-Chef Diekmann zugeordnet wird, keine dralle Imperia in Konstanz, die bei Nacht und Nebel in der Hafeneinfahrt auftaucht, kein Minister Strobl, der lauthals „Sauerei“ schreit. Stattdessen eine Gedenksäule, die von einer Stadt gutgeheißen, bestellt, finanziert und feierlich enthüllt wird.

So geschehen in Böblingen, das sich ein 9,80 Meter hohes „Lenk-Mal“ für 350.000 Euro leistet, zu Ehren der Bauern, die vor 500 Jahren von Georg III. Truchseß von Waldburg-Zeil vor Ort niedergemetzelt wurden. Zwischen Goldberg und Galgenberg standen sich 10.000 Aufständische und 8.000 Soldaten am 12. Mai 1525 gegenüber, das Schlachten endete mit einer vernichtenden Niederlage des gemeinen Mannes.

Sie wolle damit an ein bedeutendes Ereignis in ihrer Geschichte erinnern, betont die Stadt, an den Kampf der Bauern um Recht und Freiheit und Teilhabe. Und wer passe dazu besser als ein Künstler, der ein „tiefes Gerechtigkeitsempfinden“ habe und „keine Angst vor niemand“? Das sagt Stefan Belz, der grüne Rathauschef. Ihn freut, dass seine Bürgerschaft die Hälfte der Kosten durch Spenden trägt.

Der Verlegersohn vermisst die Rebellion

Der örtliche Meinungsführer, der „Böblinger Bote“, teilt die Begeisterung nicht. Im Gegenteil. Besonders irritiert zeigt sich Jan-Philipp Schlecht, ein Spross der örtlichen Verlegerfamilie, die ihren Laden an die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) verkauft hat. Für den Filius ist noch das Amt des Lokalchefs geblieben, aus dem heraus er fragt, was an Lenk eigentlich noch rebellisch sei? Von einer Rebellion könne „keine Rede“ sein, wenn der gesamte Gemeinderat den Kauf gut finde, urteilt Schlecht junior und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gedenksäule „erstaunlich brav“ geraten sei. Nicht einmal der vom Hof gejagte ex-OB Wolfgang Lützner (CDU) werde gezeigt.

Nun verrät der Verlegersohn leider nicht, wer für ihn der Schurke in diesem Stück ist. Sein Nicht-Rebell oder sein geschmeidiger Gemeinderat, oder wäscht hier gar eine Hand die andere? Wäre Lenk nicht so ein „berüchtigter Künstler“, folgert Schlecht, wäre ihm dieser Auftrag „wohl nicht zugeflattert“. Da haben wir‘s: Der Skandalist vom Bodensee ist ein Marketinggag des Rathauses, die neue Böblinger Werbe-Ikone, geködert mit einer „amtlichen Auftragsarbeit“. Die Story („Rebell ganz unrebellisch“) verbreitet sich weit über das Ortsblatt hinaus, dank vieler SWMH-Zeitungen, die ihr Platz einräumen. Dass für den Bildhauer 35.000 Euro übrigbleiben, für zwei Jahre Arbeit, ist nicht erwähnt.

Die Entgegnungen des Betroffenen sind nicht zitabel. Wer Lenk kennt, weiß warum. Der Feuerkopf aus Bodman ist ein Überzeugungstäter und pflegt eine Sprache, die so direkt ist wie seine Kunst. Die Beleidigung als Arschloch hat einen hohen Wiederholungsgrad, die Unterfütterung mit Belegen hält Schritt. Der Skandal ist für ihn der „Bauernjörg“. Doch dazu später.

Stefan Belz, der Oberbürgermeister Böblingens, drückt sich in seinem Amtszimmer feiner aus. Der 44-Jährige betont seine „Affinität“ zur Kunst von Peter Lenk, was zunächst ungewöhnlich erscheint, weil er von Haus aus Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik ist. Dann wird es verständlich, weil ihn der Protest gegen Stuttgart 21 zur Politik gebracht hat. Belz erzählt von seinem Weg zu den Grünen, wie das damals war, als Kretschmann Ministerpräsident wurde und für Aufbruch stand. Es war die Zeit, in der sich Magazine wie der „Spiegel“ verwundert die Augen rieben über die „Wutbürger“ in der „Hauptstadt des Widerstands“.

Der Lenksche Laokoon erschien ihm hernach wie in Stein gehauener Protest und wurde zu seiner Lieblingsfigur. „Aufgabe der Kunst ist auch Provokation“, sagt Belz, und fortan kann man sich vorstellen, wie das „schöne Gespräch“ in der Lenkschen Küche verlaufen ist. Der Hausherr zieht über die Kleingeister im Stuttgarter Rathaus her, die seinen Laokoon verstecken wollten, der Böblinger OB zieht die Best-place-Karte, einen Platz im Stadtgarten, am Ufer des Oberen Sees mit Blickachse zur historischen Altstadt.

Und er verspricht, ihn dort in „freudiger Erregung“ zu empfangen. Das war am Freitag, 9. Mai um 18 Uhr der Fall, mit einer Laudatio des ebenfalls unrebellischen „AnStifter“-Gründers Peter Grohmann. Und damit nichts schiefgeht, hat Lenk den Aufbau der 37 Tonnen schweren Skulptur vorab geübt. Willkommen im Betonwerk Koch in Steißlingen am Bodensee. Es ist Ende April, regnerisch und kühl, die Reliefs liegen auf dem Boden und müssen zu einem fünfeckigen, nach oben spitz zulaufenden Obelisken zusammengeführt werden. Zwei Kräne warten darauf, sie an den Haken zu nehmen, der Meister selbst fährt auf einem Hubwagen umeinander, um etwaige Mängel an den Figuren auszubessern.

Der Busen einer Kurtisane weist noch Unebenheiten auf. Lenk schleift, glättet mit Silikon, und es könnte der Verdacht aufkommen, dass er das extra macht, um seinen Ruf als Nackedei-Liebhaber zu festigen. Denn andere Objekte mit primären oder sekundären Geschlechtsteilen gibt es auf diesem Lenk-Mal nicht. Alles andere ist Politik, Brutalität, Krieg.

Sei‘s Martin Luther, der Fürstenknecht, der die Bauern „wie einen tollen Hund“ erschlagen wollte. Sei‘s die Abstechung des Grafen von Helfenstein durch die Aufständischen, sei‘s die Hinrichtung des Bauernführers Jäcklein Rohrbach, der, gekettet an einen Pfahl, bei lebendigem Leib gegrillt wurde. In den Gesichtern spiegeln sich die ganzen Grausamkeiten, zu denen Menschen fähig sind, wider.

Der schlimmste Sadist: der „Bauernjörg“

Den schlimmsten Sadisten hat sich Lenk für den Schluss aufgehoben. Er soll die Spitze der „Pyramide“ bilden: Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil, Feldherr im Sold des Kaisers Karl V., der Fürsten im „Schwäbischen Bund“ und des habsburgischen Erzherzogs Ferdinand. Ein kriegslüsterner Soldat, dessen Vernichtungsschlachten selbst für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich erbarmungslos waren. Pfählen, grillen, vierteilen, rädern. Im Volk trägt er den Namen „Bauernjörg“, was ganz harmlos klingt.

Für uns Kinder, die es gewohnt waren, zum Fürsten „Seine Durchlaucht“ zu sagen, klang das sympathisch. Als wäre er einer von uns. Dass er einer der übelsten Schlächter seiner Zeit war, ist uns nicht berichtet worden – und hätte sich auch schlecht vertragen mit der Ehrung durch das oberschwäbische Städtchen Waldsee, das ihm eine „Bauernjörgstraße“ gewidmet hat. Hier ist er 1489 im Schloss geboren und 1531 in der Kirche begraben worden.

Am Böblinger Oberen See ist Georg III. die Krönung. Lenk hat dem Truchsessen in luftiger Höhe Geldsäcke unter die Arme geklemmt, um seiner Kriegslust noch ein weiteres, nicht weniger wichtiges Motiv hinzuzufügen: die Geldgier. Im Namen Gottes, versteht sich, zu Nutz und Frommen des Adels, insbesondere des Hauses Waldburg, das sich neuer Ländereien erfreuen durfte. Wälder, Wiesen, Äcker, vom Kaiser für treue Dienste geschenkt.

Nur vor der Endmontage am Strang: Die Figur des „Bauernjörg“ kommt an die Spitze des Denkmals.

Nach ausgiebigem Quellenstudium, darunter das Buch von Günter Wallraff und Bernt Engelmann („Ihr da oben – wir da unten“), das als Standardwerk zur Adelskritik taugt, ist Lenk zu dem Schluss gekommen, dass der „Bauernjörg“ damit den Grundstock des Vermögens derer von Waldburg gelegt hat.

Heute zählt allein die Zeiler Linie, repräsentiert durch Erich von Waldburg zu Zeil und Trauchburg, zu den reichsten Familien der Republik. Sie gehört zu den größten deutschen Grundbesitzern, hält Zeitungen, Spielcasinos, Kliniken und einen eigenen Flugplatz in ihrem Portfolio – und sollte sich endlich „ehrlich ihrer Geschichte stellen“.So verlangt‘s Peter Lenk. Und wir machen uns keine Sorgen mehr.

Transparenzhinweis: Der Autor ist im Schlosshof von Waldsee geboren und wünscht sich, dass der „Bauernjörg“ im Rittersaal des Wolfegger Schlosses vom Sockel geholt wird und seine Straße in Waldsee und Weingarten verliert.

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