piwik no script img

Geschlossen gegen Geschwurbel

Unter dem Decknamen „Spaziergang“ laufen „QuerdenkerInnen“ durch deutsche Städte. Meist unangemeldet und teils gewaltbereit demonstrieren sie gegen die Corona-Maßnahmen. Vielerorts fanden nun Gegendemos statt. In Mannheim bildeten rund 600 Beteiligte eine Menschenkette vor dem Rathaus, um ein Zeichen für Solidarität zu setzen.

„Uffbasse!“: Mut zur Gegendemo, auch wenn Rechte ihrerseits dagegen sein könnten. Fotos: Joachim E. Röttgers

Von Nanja Boenisch↓

Beatrice Wiesner von den Jusos findet wichtig, dass die Aktion überparteilich ist.

Menschen sammeln sich vor dem Mannheimer Rathaus. Die meisten wissen, was zu tun ist, die OrdnerInnen in gelben Warnwesten haben kaum etwas zu ordnen. Kleine Pulks lösen sich meist schnell von selbst auf und die Demonstrierenden finden ihren Platz in der Menschenkette, die einmal um das Rathaus rum und die Hauptstraße hoch Richtung Innenstadtkern führt. Schals, Fahnen und Banner in den Händen der Anwesenden baumeln erst noch herab. Als um 18 Uhr mit der Begrüßung durch Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier der Startschuss fällt, werden die Stoffe gespannt – als Bindeglieder der Menschenkette mit Abstandsgarantie.

Zusammen mit zwei weiteren grünen StadträtInnen, Angela Wendt und Chris Rihm, hat Fontagnier vor Weihnachten die Menschenkette initiiert. Die Aktion tauften sie „Uffbasse!“, schönstes Mannheimerisch für „aufpassen“. Am 13. Dezember eskalierte in der Mannheimer Innenstadt der Protest der spazierenden GegnerInnen der Corona-Maßnahmen, es kam zu Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. „Da haben wir uns gedacht, dass wir nicht länger zuschauen wollen“, sagt Fontagnier. „Also haben wir uns noch vor Weihnachten zusammengesetzt und überlegt, was wir den unangemeldeten und gewaltsamen Montagsspaziergängen entgegensetzen können.“ Um zu vermeiden, dass Menschen bei einer Kundgebung eng beieinander stehen müssen, etwa auf einem Platz, entstand die Idee der Menschenkette. „Außer­dem wussten wir, dass die ‚Querdenker‘ zum Mannheimer Rathaus spazieren wollten“, fügt Gerhard ­Fontagnier hinzu. „Deshalb haben wir unsere Menschen­kette dort platziert.“

An diesem Montag sieht sie in Mannheim keine „Spaziergänger“ – Grünen-Stadträtin und Mitinitiatorin Angela Wendt freut sich.

An diesem Montag sind rund 600 Menschen gekommen, um sich an der Aktion zu beteiligen: Privatpersonen, Initiativen, politische Gruppen, studentische ­Vereine. Teilweise aus dem Umland angereist, um sich mit den MannheimerInnen zu solida­risieren. „Wir haben über die sozialen Medien von der Aktion Wind bekommen und haben uns gedacht, dass das besonders gut zu unseren Inhalten passt“, sagt eine 23-jährige Vertreterin des Arbeitskreises Politik von der Hochschule Ludwigs­hafen. „Wir als Studis haben durch die Pandemie sehr gelitten und den Rechtsruck in der ‚Querdenken‘-Bewegung mit sehr viel Besorgnis beobachtet.“ Dagegen müsse ein Zeichen gesetzt werden. Aus Angst vor persönlichen Drohbriefen und rechter Gewalt möchten die Studierenden des Arbeitskreises ihre Namen nicht nennen.

Auch Gerhard Fontagnier wollte nicht länger tatenlos zuschauen.

„Spaziergang“ weicht aus

Hand in Schal in Hand: Die Menschenkette führt die Hauptstraße hinauf.

In der Menschenkette stehen junge Studierende neben älteren Menschen, Fans der Adler Mannheim neben AnhängerInnen des FC Liverpool, Jusos neben VertreterInnen der Linksjugend. Beatrice Wiesner, die stellvertretende Vorsitzende der Jusos Rheinland-Pfalz, betont: „Ich finde es wichtig, dass die Demonstration hier überparteilich ist. Das führt zusammen, weil man merkt, dass wir mehr gemeinsam haben, als dass wir alle gegen die ‚Querdenker‘ sind.“

Mit klarer Botschaft gegen rechts: der Bund der AntifaschistInnen.

Die GegnerInnen der Corona-Maßnahmen zumindest haben erkannt, dass das Mannheimer Bündnis gegen die Montagsspaziergänge breit ist. So breit, dass sie an diesem Abend nach Schwetzin­gen ausweichen. Stadträtin Angela Wendt freut sich: „Scheinbar haben sie festgestellt, dass es sich nicht lohnt, nach Mannheim zu kommen.“ Für Mannheim ist es an diesem Abend zunächst einmal die letzte Menschenkette. „Wir planen eine größere Aktion“, sagt Wendt. Schön sei auf jeden Fall, dass es auch in anderen Städten – zum Beispiel in Ravensburg, Konstanz und Filderstadt – Gegendemos gegen die Montagsspaziergänge gibt und dass das mediale Interesse daran so groß ist.

Noch während Angela Wendt spricht, erklingen vor dem Rathaus die ersten, etwas pathetischen Takte der „Ode an die Freude“. Wegen Bauarbeiten ist das Gebäude eingezäunt, die Sicht auf das improvisierte Uffbasse-Orchester mit MusikerInnen der Mannheimer Musikschulen und des Nationaltheaters unter den Arkaden vor dem Haupteingang versperrt. Die ob der Kälte etwas schiefen Töne bahnen sich trotzdem ihren Weg durch die Reihen der Menschenkette, die nach und nach mitzusingen beginnen – und unter das „alle Menschen werden Brüder“ teilweise ein triolisches „Geschwister“ mischen.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen