: Geschlossen gegen Geschwurbel
Unter dem Decknamen „Spaziergang“ laufen „QuerdenkerInnen“ durch deutsche Städte. Meist unangemeldet und teils gewaltbereit demonstrieren sie gegen die Corona-Maßnahmen. Vielerorts fanden nun Gegendemos statt. In Mannheim bildeten rund 600 Beteiligte eine Menschenkette vor dem Rathaus, um ein Zeichen für Solidarität zu setzen.
Von Nanja Boenisch↓
Menschen sammeln sich vor dem Mannheimer Rathaus. Die meisten wissen, was zu tun ist, die OrdnerInnen in gelben Warnwesten haben kaum etwas zu ordnen. Kleine Pulks lösen sich meist schnell von selbst auf und die Demonstrierenden finden ihren Platz in der Menschenkette, die einmal um das Rathaus rum und die Hauptstraße hoch Richtung Innenstadtkern führt. Schals, Fahnen und Banner in den Händen der Anwesenden baumeln erst noch herab. Als um 18 Uhr mit der Begrüßung durch Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier der Startschuss fällt, werden die Stoffe gespannt – als Bindeglieder der Menschenkette mit Abstandsgarantie.
Zusammen mit zwei weiteren grünen StadträtInnen, Angela Wendt und Chris Rihm, hat Fontagnier vor Weihnachten die Menschenkette initiiert. Die Aktion tauften sie „Uffbasse!“, schönstes Mannheimerisch für „aufpassen“. Am 13. Dezember eskalierte in der Mannheimer Innenstadt der Protest der spazierenden GegnerInnen der Corona-Maßnahmen, es kam zu Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. „Da haben wir uns gedacht, dass wir nicht länger zuschauen wollen“, sagt Fontagnier. „Also haben wir uns noch vor Weihnachten zusammengesetzt und überlegt, was wir den unangemeldeten und gewaltsamen Montagsspaziergängen entgegensetzen können.“ Um zu vermeiden, dass Menschen bei einer Kundgebung eng beieinander stehen müssen, etwa auf einem Platz, entstand die Idee der Menschenkette. „Außerdem wussten wir, dass die ‚Querdenker‘ zum Mannheimer Rathaus spazieren wollten“, fügt Gerhard Fontagnier hinzu. „Deshalb haben wir unsere Menschenkette dort platziert.“
An diesem Montag sind rund 600 Menschen gekommen, um sich an der Aktion zu beteiligen: Privatpersonen, Initiativen, politische Gruppen, studentische Vereine. Teilweise aus dem Umland angereist, um sich mit den MannheimerInnen zu solidarisieren. „Wir haben über die sozialen Medien von der Aktion Wind bekommen und haben uns gedacht, dass das besonders gut zu unseren Inhalten passt“, sagt eine 23-jährige Vertreterin des Arbeitskreises Politik von der Hochschule Ludwigshafen. „Wir als Studis haben durch die Pandemie sehr gelitten und den Rechtsruck in der ‚Querdenken‘-Bewegung mit sehr viel Besorgnis beobachtet.“ Dagegen müsse ein Zeichen gesetzt werden. Aus Angst vor persönlichen Drohbriefen und rechter Gewalt möchten die Studierenden des Arbeitskreises ihre Namen nicht nennen.
„Spaziergang“ weicht aus
In der Menschenkette stehen junge Studierende neben älteren Menschen, Fans der Adler Mannheim neben AnhängerInnen des FC Liverpool, Jusos neben VertreterInnen der Linksjugend. Beatrice Wiesner, die stellvertretende Vorsitzende der Jusos Rheinland-Pfalz, betont: „Ich finde es wichtig, dass die Demonstration hier überparteilich ist. Das führt zusammen, weil man merkt, dass wir mehr gemeinsam haben, als dass wir alle gegen die ‚Querdenker‘ sind.“
Die GegnerInnen der Corona-Maßnahmen zumindest haben erkannt, dass das Mannheimer Bündnis gegen die Montagsspaziergänge breit ist. So breit, dass sie an diesem Abend nach Schwetzingen ausweichen. Stadträtin Angela Wendt freut sich: „Scheinbar haben sie festgestellt, dass es sich nicht lohnt, nach Mannheim zu kommen.“ Für Mannheim ist es an diesem Abend zunächst einmal die letzte Menschenkette. „Wir planen eine größere Aktion“, sagt Wendt. Schön sei auf jeden Fall, dass es auch in anderen Städten – zum Beispiel in Ravensburg, Konstanz und Filderstadt – Gegendemos gegen die Montagsspaziergänge gibt und dass das mediale Interesse daran so groß ist.
Noch während Angela Wendt spricht, erklingen vor dem Rathaus die ersten, etwas pathetischen Takte der „Ode an die Freude“. Wegen Bauarbeiten ist das Gebäude eingezäunt, die Sicht auf das improvisierte Uffbasse-Orchester mit MusikerInnen der Mannheimer Musikschulen und des Nationaltheaters unter den Arkaden vor dem Haupteingang versperrt. Die ob der Kälte etwas schiefen Töne bahnen sich trotzdem ihren Weg durch die Reihen der Menschenkette, die nach und nach mitzusingen beginnen – und unter das „alle Menschen werden Brüder“ teilweise ein triolisches „Geschwister“ mischen.
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