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Geschlechterverhältnisse: Zum Verrücktwerden

■ „WahnsinnsFrauen“: Eine Sammlung von Porträts „geisteskranker“ Frauen

„Der Mann ist ein Zwischenglied zwischen Mensch und Tier, denn er ist eine Spottgeburt und als solche derart zynisch und lächerlich ausgestattet, daß er weder das eine noch das andere in voller Wirklichkeit sein kann.“ Bevor Helene von Druskowitz zur Anhängerin einer solchen Anthropologie wurde, versuchte sie, die zuvor in Zürich in den 1870er Jahren Literatur und Philosophie studiert hatte, als freie Schriftstellerin und Kritikerin zu überleben. In ihren Texten lehnte die „quer“ Denkende die „harmonische“ Ergänzung der Geschlechter unter Obhut von Kirche und Staat stets strikt ab: „Die Ehe ist keine Institution für begabte Frauen.“ Solchen Äußerungen konnte das Publikum wenig abgewinnen – Druskowitz' Schriften blieb der Erfolg versagt. 1891 wurde sie wegen Halluzinationen, die anscheinend auf exzessiven Alkoholkonsum zurückzuführen waren, in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert. Fünfzehn Jahre später verfaßte die auf Lebenszeit Internierte ihre „Pessimistischen Kardinalsätze“, aus denen der eingangs zitierte Satz stammt.

Wessen Wahn ist es, der in solchen Texten zum Ausdruck kommt? Männliche Zeitgenossen hatten nicht weniger eindeutige Ansichten zur Geschlechterfrage als die erkrankte Helene von Druskowitz. Pünktlich zur Jahrhundertwende erschien etwa eine Schrift mit dem Titel „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Ihr Autor, Paul Möbius, kannte die Psychiatrie als diagnostizierender Arzt. Der „Schwachsinn“ der Frau war Möbius zufolge normal. Wirklich krank werde das Weib allerdings erst von übermäßiger Gehirntätigkeit.

An diesen Wahnsinnsdefinitionen eines normal-normsetzenden Arztes läßt sich eine geläufige Doppelstrategie ablesen: Die gesellschaftlich praktizierte Verhinderung ihres Denkens wird zunächst zur Natur der Frau erklärt. Sollte sie dennoch versuchen, den Mund zu öffnen, um das Gegenteil zu beweisen, wird ihr bewiesen, daß die Vernunft sie verlassen hat.

Sibylle Duda, Mitherausgeberin des Sammelbandes „WahnsinnsFrauen“, interpretiert die Lebensläufe ihrer „WahnsinnsFrauen“ daher als Ausdruck von Protest. Frauen, die in „normaler“, den sprachlichen Normen gehorchender Form Widerstand artikulierten, wurden zwecks Zähmung pathologisiert: Théroigne de Méricourt beispielsweise gedachte als Bürgerin an der Französischen Revolution teilzunehmen. Das aber war ein Aufbegehren gegen die politischen und die Geschlechterverhältnisse – de Méricourt wurde für den Rest ihres Lebens als Geisteskranke eingesperrt.

Über die Interpretationen einzelner Lebensläufe innerhalb des Sammelbandes „WahnsinnsFrauen“ läßt sich zwar streiten – das Porträt Virginia Woolfs beispielsweise ist zu sehr auf die Rolle des sexuellen Mißbrauchs in der Kindheit fixiert. Aus diesem Erlebnis, so behauptet Susanne Amrain, resultiere die Unmöglichkeit jeglicher positiven Beziehung zum eigenen Körper. Virginia Woolfs Widerstand dagegen, sich auf die gesellschaftlich vorgeschriebene Form der Heterosexualität festlegen zu lassen, wird von Amrain nicht einmal erwähnt.

Insgesamt aber lassen sich dem Band solche Einseitigkeiten nicht vorwerfen. Frauen werden als Objekte von Gewalt und als Subjekte ernst genommen, „Wahnsinn“ wird ebenso als diskursiv produziertes Konstrukt thematisiert wie als reale psychische und physische Reaktion auf erfahrene Unterdrückung. Die überwiegend spannenden Kurzbiographien bilden einen Beitrag zum Thema Wahnsinn, der der Diskussion in unkomplizierter Form wichtige Aspekte hinzufügt und für mögliche Denkanstöße genügend Stoff bietet. Claudia Berger

Sibylle Duda, Luise F. Pusch (Hg.): WahnsinnsFrauen. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1992, 364 Seiten, 16,80 DM

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