Geschlechterunterschiede bei Olympia: Leider immer noch kein Bruch
Bei Olympia müssen sich Sportlerinnen Tests zur Geschlechtsüberprüfung unterziehen. Bei den Männern fragt niemand nach körperlichen Vorteilen.
B reaking ist seit 2024 offiziell Teil der Olympischen Spiele. Nach einem Debüt bei den Olympischen Jugend-Sommerspielen 2018 zählt die Tanzform der Hip-Hop-Bewegung nun zu den neuen Disziplinen, die dieses Jahr eingeführt wurden.
Während also zum ersten Mal eine Tanzsportdisziplin bei den Spielen dabei ist, hat sich an anderer Stelle wenig verändert. Im Gegensatz zu Streetdance Battles, bei denen Tänzer:innen aller Geschlechter gegeneinander antreten, ist Breaking bei Olympia in alter Tradition in Frauen- und Männerkategorien unterteilt.
Das Problem ist allerdings weitaus fundamentaler. Denn der Frauen-Kategorie kommt nach wie vor eine besondere Rolle zu. Nur hier kommen Tests zur Geschlechtsüberprüfung zur Anwendung. Sie werden von den Sportverbänden wie beispielsweise dem Leichtathletikweltverband World Athletics durchgeführt.
Diese Tests sind so normalisiert, dass ihre invasive Größenordnung kaum hinterfragt wird und ihre sexistische, entwürdigende Geschichte nicht dazu führt, das Verfahren grundsätzlich infrage zu stellen. Besonders betroffen sind Sportler:innen mit „hohen“ Testosteronwerten, trans und inter Sportler:innen.
Männer werden anders behandelt
Sportler:innen, die in der Männer-Kategorie antreten, werden in ihrem Sport nicht mit Bluttests, Tastkontrollen oder gynäkologischen Zwangsuntersuchungen belästigt. Sie werden nicht zur Testosteron-Reduzierung gezwungen, um angebliche Leistungsvorteile zu vermeiden, und auch nicht zu OPs gedrängt.
Das bemerkenswerte Track Record des Schwimmers Michael „Flying Fish“ Phelps ist ein gutes Beispiel für diesen Widerspruch. Phelps wurde für die große Flügelspannweite seiner Arme bewundert. Auch dass sein Körper im Vergleich zu anderen Sportler:innen weniger Milchsäure erzeugt, die Muskeln zu Ruhepausen zwingt, galt schlicht als gegeben. Der Schwimm-weltverband World Aquatics erwartete nicht von ihm, dieses körperliche Merkmal medikamentös zu verändern.
Hinter dem Senkungszwang, der der Frauen-Kategorie vorbehalten ist, steckt die Idee, eine Frau könne „zu schnell“ sein, ein Mann nicht. Die Versuchung ist groß, Beispiele wie Diana Nyad heranzuziehen, der einzigen Person, der es jemals gelang, ohne Haikäfig von Havana, Kuba, nach Key West in Florida zu schwimmen.
2013 legte die damals 64-Jährige die Distanz von 110 Meilen zurück. Wir könnten Nyad anführen, um zu argumentieren, dass Frauen gegenüber Männern „gewinnen“ würden, wenn wir nicht Schnelligkeit oder Muskelkraft im Sport messen würden, sondern Zähheit, Schmerztoleranz und Ausdauer.
Aber was bringt dieses ewige Überlegenheitsspiel? Die feministische Gretchenfrage der Differenz und Gleichheit – wir werden sie nicht lösen können. Sozialisierung, die Konditionierung von Körpern und deren Lesart finden nie im luftleeren Raum statt. Vergleichbarkeit und Fairness ließen sich genauso nach Trainingsbedingungen, Muskelmasse, Körpergröße, Armspannweite oder Gewicht herstellen – was als Maß gilt, ist immer gesellschaftlich geprägt.
Dringender ist die Frage, welchen Anteil die Überwachung von Geschlechtsunterschieden im Sport an der gesellschaftlichen Investition in die Zweigeschlechterordnung hat, an deren Grenzen der Sport selbst ständig stößt – und wer den Preis für die Trennung nach Geschlecht zahlt.
Anm. der Redaktion: In einer früheren Version stand fälschlicherweise, dass das IOC heute noch selbst Tests zur Geschlechterüberprüfung durchführe, gemeint waren allerdings die Tests, die bis Ende der 1990er Jahre unter anderem von den Medizinkommissionen des IOC durchgeführt wurden. Die Entscheidung, ob Tests zur Geschlechterüberprüfung durchgeführt werden, sind inzwischen den jeweiligen Sportverbänden überlassen. Wir haben den Fehler korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste