ratsreform der eu: Geschickter Schachzug
Auf den ersten Blick sind alle begeistert. Blair und Schröder schreiben einen Brief an EU-Ratspräsidenten Aznar, beleben mal eben die seit Jahren blockierte Ratsreform, und beim Gipfel in Sevilla sagen die anderen Staatenlenker: Prima, warum haben wir die alten Zöpfe nicht schon früher abgeschnitten?
Kommentarvon DANIELA WEINGÄRTNER
Ja warum eigentlich nicht? Dass überfällige Entscheidungen in dem schwerfälligen Gremium blockiert sind, wissen Beteiligte und Beobachter schon lange. Aber jeder Reformversuch scheiterte, weil der Rat in seiner jetzigen Form die einzige Runde ist, in der Staatschefs ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen können: Tauschgeschäften hinter verschlossenen Türen, die anschließend als nationale Siege präsentiert werden. Warum plötzlich manche EU-Chefs zu der Erkenntnis kommen, Geheimdiplomatie à la Metternich sei nicht mehr zeitgemäß, hat einen einfachen Grund: Wenn der Rat sich nicht selbst ein bisschen reformiert, wird es der neue Reformkonvent vielleicht gründlicher besorgen – und das ist für viele Regierende sicher die bedrohlichere Variante.
Warum sich die Staatschefs nun vor etwas fürchten, was sie in Laeken selbst beschlossen haben, ist ebenfalls einfach zu erklären. Sie haben Eigendynamik und Interesse unterschätzt, die daraus entstehen, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte der EU eine parlamentarische Versammlung der Sache annimmt. Schröder und Blair meinen wohl nicht zu Unrecht, dass sie am Ende das Arbeitsergebnis des Gremiums nicht kleinreden oder zur Unkenntlichkeit verfälschen können. Deshalb tun sie es am Anfang. Indem sie Teile aus dem in Laeken erteilten Arbeitsauftrag selbst in die Hand nehmen, schmälern sie die Bedeutung des Konvents schon vor dessen erster Sitzung.
Ein geschickter Schachzug. Die positiven Reaktionen seitens der Kommission und der Parlamentarier im Konvent zeigen, dass er funktioniert. Dabei zeigt der Postweg des Blair-Schröder-Briefs, dass er der geheimniskrämerischen Tradition des Rates verhaftet bleibt. Ursprünglich gingen Kopien an Ratspräsident Aznar, an die Kollegen Regierungschefs, Kommissionspräsident Prodi, Mister Außenpolitik Solana, Konventspräsident Giscard d’Estaing. Gestern tauchten einzelne Textpassagen in FAZ und Financial Times auf. Erst danach wurde der ganze Brief veröffentlicht. So haben sich die Bürger die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union wohl nicht vorgestellt.
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