piwik no script img

■ Press-SchlagGeschichte(n) vom Niederrhein

Er sitzt auf der Bande, Kopf samt resignierendem Rumpf vornübergebeugt, als ob mit der Schlußsirene die Kraft aus allen Gliedern gewichen wäre. Ein Handtuch bedeckt das schüttere Haar. Nur der Zopf, mit dessen Hilfe Mann von Welt dank Karl Lagerfeld, wenn das Haupthaar sein Wachstum verweigert, seiner Rückenansicht haarige Perspektiven zu verleihen beliebt, lugt vorwitzig aus dem selbstgebauten Handtuch-Haus hervor. Ein Häuflein Elend, zusammengekauerte zwei Meter männlichen Körpers. Es versteckt sich dergestalt: Georg Grozer (29), einer der Großen der deutschen Volleyball-Zunft. Nur im Moment der Niederlage ist auch Old Schmetterhand ganz klein.

Wer an Moers denkt, denkt an Kabarett oder an Volleyball. Kunst und Sport haben in dem 100.000-Einwohner-Städtchen ausnahmsweise etwas gemein: In Moers sind beide „Geschichte(n) vom Niederrhein“. Wenn Hans-Dieter Hüsch vom Niederrheiner plappert, meint er den Spießbürger in uns. Diesen Menschen, der sein Eheweib in der Regel mit dem einfachen Sätzchen „es geht alles vorbei“ mundtot macht, und damit zwar die Zeit totschlägt, sich aber selbst um sein Leben betrügt.

„Es geht alles vorbei.“ Der Moerser SC blockt seit seiner Gründung im Jahre 1985 Gegner aus der Bundesliga ab. Am Sonntag in der Berliner Sömmeringhalle vergebens. Da wußte auch MSC-Vereinschef Günter Krivec, im Hauptberuf schließlich Apotheker, kein Rezept mehr. Nach zweidreiviertel Stunden war eben „alles vorbei“, was so vielversprechend angefangen hatte. Zwei Sätze lang souverän geführt, dann ebenso souverän drei Sätze verloren – 15:12, 17:15, 12:15, 6:15, 11:15 – wieder war der Deutsche Meister SC Charlottenburg stärker als der Pokalsieger und Titelträger des Vorjahres.

Moers gegen Berlin, das ist nicht nur Georg Grozer gegen ein halbes Dutzend Nationalspieler, das ist ein Kampf ums Prestige. Drei Moerser ließ man von dannen ziehen: nach Berlin. Und behauptet trotzdem weiter tapfer: die „kleinste Großstadt Deutschlands“ (Krivec) könne es mit der „Mammutstadt Berlin“ (Krivec) aufnehmen. Sie konnte nicht.

„Magic Schorsch“ bewegt sich mit der Behendigkeit eines tapsigen Bären auf dem Spielfeld – aber wehe, es fliegt der Ball durch die Lüfte. Und landet auch noch in Reichweite des Moerser Magiers. Dann gnade ihm. Old Schmetterhand offenbart, weshalb er seinen Beinamen zurecht trägt: er hebt ab, sprunggewaltig wie kaum ein anderer und – donnert den Ball aus einer Höhe von bis zu 3,60 Metern ins Feld. Smash! Keine Chance für den Berliner Block. Zumeist. Und vorausgesetzt, der Magier macht keine Fehler, was in Berlin öfters passiert: Aufgabe ins Netz, Aufgabe ins Aus. Georg Grozer tigert übers Spielfeld, stiert auf die gegenüberliegende Seite, als ob die Berliner Truppe eigens ihm zum Fraß serviert wurde. Nur die Wanderungen des Kaugummis in der Backentasche zeugen von Nervosität. Smash!

„Georg hat den zweiten Satz quasi im Alleingang gewonnen“, streichelt MSC-Trainer Jürgen Wagner die verwundete Seele seines schlaggewaltigen Stars, als dieser auf der Bande sitzend versucht, die Niederlage zu verdauen. „Überragend!“ Sogar Igor Prielozny lobt jenen Mann, welcher die Harmonie im Nationalteam mit seinen Rücktritten und Rücktritten vom Rücktritt mehrfach durcheinandergewirbelt hat wie sonst nur die Abwehr der Gegner.

Der Bundestrainer, der kurz vor der WM-Qualifikation (19.-21. November) die geballte Kraft der Nationalspieler René Hecht, Franko Hölzig, Robert Dellnitz, Ronald Triller, Ulf Quell, André Barnowski (alle Berlin) begutachtete, kann Grozer folgenlos loben. Seinen Kader mußte er bereits vor vier Monaten bestellen. Wer zu spät kommt, wir wissen es, den bestraft die Geschichte. Und der Moerser „Magic“ ist spät dran. Seine Achillesferse ist das Gewebe rund um die Sehne an derselben. Selbiges wurde im Mai rausoperiert. Seit September trainiert Old Schmetterhand erst wieder mit dem Leder in der Hand.

Der Kopf späht nun doch unter dem Handtuch hervor. Frank Winkler und Chang Cheng Liu, seit dieser Saison bei Post Berlin, schauen beim Ex- Kollegen vorbei. Ein freundschaftlicher Klaps auf die Schulter für die verwundete Seele. „Es geht alles vorbei.“ Geschichte(n) vom Niederrhein. Cornelia Heim

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen