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Geschichte vom Dings, na, sag schon, also der... Von Susanne Fischer

Langweiliger als Buchmessen- Vorabberichte sind nur noch die Nachberichte, die jedes Jahr im Herbst wie faulige Blätter auf uns niederregnen. Sie klingen alle wie „Mein schönstes Ferienerlebnis“, und wer will schon von toten, alten Messen noch etwas hören? Ich nicht, aber ich muß schließlich auch jede Nacht meinem eigenen tuberkulösen Bellen und Röcheln lauschen, das ich – wie jedes Jahr – von der Todesmesse mit heimgeschleppt habe. Das verschweigen uns die Nachberichte, da sie sich nur den glamourösen Topereignissen (schwerer Suff im Café Laumer) zuwenden, während sie die Rotz- und Kotz-Events des Fußvolks völlig außer acht lassen.

Wenden wir uns also meiner schönsten Buchmessen-Kotzgeschichte zu, wenn es sonst schon niemand tut. Nach schwerem Suff im Café Laumer mußte ich zwar nicht brechen, aber ich mußte träumen, daß ich brechen muß. Kaskaden von Buchstabennudelsuppe erzwangen ihren Weg aus meinem Innersten hinaus in die Welt. Selbst im Traum mußte ich darüber lachen. Das schönste Ferienerlebnis der anderen zehrt dagegen nie von Buchstabensuppe, sondern von angeblich Prominenten, d.h. welchen, die im Fernsehen kommen: Man habe neben jenem, na, dem Moderator da, an der Pißrinne gestanden und denselben Aschenbecher benutzt wie dieser Dings, na, wie heißt er noch mal, also wenn du ihn sehen würdest, würdest du ihn aber sofort erkennen... Ich dagegen habe bloß der Chefredakteurin dieser Zeitung den Weg zu ihrem Stand gewiesen. Folglich, LeserIn, hast du es mir zu verdanken, daß du heute eine Zeitung in der Hand hältst, denn Frau Brunst wäre ohne mich bestimmt verlorengegangen.

Neben einem Menschenknäuel in einem Messegang, an dem abzulesen war, daß dort ein Verlagsempfang mit saurem Wein seinen unguten Lauf nahm, hockte etwas abseits ein Etwas, das derart aufdringlich wie ein zusammengesackter Gerhard Zwerenz aussah, daß ich dem Da-Hocker-und-wie- Zwerenz-Ausseher nur wünschen möchte, wirklich Zwerenz zu sein. Allein die Vorstellung, andauernd mit einem barschen „Zwerenz“ angesprochen zu werden, wenn man in Wirklichkeit sanft und gemütlich Müller heißt, ist grauenerregend. Mein Begleiter (wenn ihr ihn gesehen hättet, hättet ihr ihn sofort erkannt) musterte den Zwerenz- Darsteller unziemlich lang und intensiv und stieß schließlich mit seinem besten Messe-Erkältungs- Bass ein verächtliches „Raddatz!“ hervor. Während ich noch lachte, tauchte vor mir ein Mann auf, der wie Raddatz aussah.

Kein Witz war auch, daß eine papageienhaft gewandete Dame von unbeschreiblicher Nichtigkeit mit einem „Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Traxler“ auf den nettesten Menschen der Welt zusteuerte, der bekanntlich F.W. Bernstein heißt. Natürlich war er zu höflich, sie zu korrigieren, aber ich besaß seit einer halben Stunde den frisch laminierten Mitgliedsausweis Nr. 12 des Wahrheit-Klubs und posaunte boshaft heraus: „Das ist nicht Herr Traxler!“, obwohl mich erstens niemand gefragt hatte und ich zweitens eigentlich „Vergehen Sie vor Schmach auf der Stelle zu Staub, Sie Wurmsgestalt“ hätte sagen wollen. Darauf aber herrschte sie kühl den topverlegenen Zeichner an: „Das tut mir jetzt leid, Herr Waechter, aber es macht ja nichts.“

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