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Geschichte hauchte

■ Die Medien Coop zeigte im „Bernsteinzimmer“ eine wundersam tragikomische Jazz-Kammeroper über Cola di Rienzi

Was ist aus dem Bernsteinzimmer geworden? Liegt es in einem Erzgebirgischen Silberstollen? Ist es bei den alliierten Luftangriffen auf Königsberg einfach weggeschmolzen? Oder haben es russische Kunstliebhaber beiseite geschafft? Im „Bernsteinzimmer“ ist man an einem mythischen Ort, da wo die Geschichte über sich selbst hinauswächst und endlich zur Schatzsuche wird.

Im Raum ist es düster, zerrige Musikfetzen vom Bayreuther Festspielhügel und sonst woher aus dem Äther der Geschichte. Wir sind im vierzehnten Jahrhundert, also irgendwo zwischen Mittelalter und Neuzeit. Rom „dampft vor Elend“. Das „Volk“ sitzt hinten in der Ecke am Tischchen. Es hat einen Filz-Schlapphut auf und lange Haare hängen ihm über das Gesicht; es schwitzt in seinem viel zu warmen Lammfell-Leibchen. Nein, das „Volk“ ist nicht kooperativ: Es will keine Geschichte machen – es will nur sauberes Wasser und ein bisschen Freude. Immerhin rafft es sich auf, Cola di Rienzi eine Bitte um Errettung zuzuraunen. Dessen Motivation zur geschichtsmächtigen Handlung aber ist ambivalent: Er will etwas bewegen und ändern – doch eigentlich strebt er zurück in die Antike, damit endlich alles wieder „gut und ewig“ werde. Das Paradox: Geschichte wird durch den Wunsch nach ihrem Ende weitergetrieben.

Wie ein durchgeknallter Moderator wandelt Rienzi monologisierend über die Bühne, hadert und nimmt dann – am Schlagzeug – den Kampf gegen den korrupten römischen Adel auf. Zunächst hat er Erfolg, aber die Geschichte endet dann doch so, wie es die Geschichte vorschreibt: Der Held wird vom „Volk“, welches sich inzwischen durch mehrere Flaschen Bier gründlich enthemmt hat, gemeuchelt.

Der Jazz, den V. B. Schulze und seine Mitmusiker/-schauspieler zu diesem Gleichnis produzieren, ist sicher keine Programmmusik – aber er macht das nervöse Rauschen der Geschichte hörbar, bildet eine motorische Unterlage für die vergebliche Sinnsuche in der Flaute der Zeitenwende. Schlagzeug und Posaune flattern auf einem Teppich wummernder Sounds aus dem E-Piano. Manchmal säuselt auch eine Gitarre, deren hellerer Klang Erlösung zu versprechen scheint. Musik und Texte sind weitgehend improvisiert, folgen aber doch präzise und virtuos einer neu-romantischen Dramaturgie des Geschichtsflusses als ewiger bedeutungsschwerer Flaute. Ein witziges und anregendes Spiel mit all dem Unsinn, der schon über den Unsinn der Geschichte verzapft worden ist.

Zeno Ackermann

Das „Bernsteinzimmer“ wird ab Oktober wieder jeden zweiten Sonntag im Monat um 20.15 Uhr seine Türen öffnen. Das nächste Mal, am 14. Oktober, wird erneut eine Zeitenwende verjazzt: das Halbfinale der Fußball-WM 1970.

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