: „Geschenk an Daimler-Benz“
■ Statt einer Änderung der Berliner Stellplatzordnung fordern die Grünen das „Londoner Modell“ / Interview mit Michael Cramer
Bauherren von Gewerbegebäuden sollen künftig keine Strafgebühr mehr zahlen, wenn sie auf die vom Gesetz vorgeschriebene Errichtung von Parkplätzen verzichten. Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) will die Berliner Bauordnung entsprechend ändern (siehe gestriger Bericht). Obwohl die Grünen ebenfalls den Parkplatzverzicht in den Innenstadtbezirken fordern, kritisieren sie den Vorstoß des Bausenators. Die taz sprach mit Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus.
Herr Cramer, was hat Ihre Fraktion gegen den Vorstoß des Bausenators einzuwenden?
Michael Cramer: Die Initiative des Bausenators führt ja nicht nur dazu, daß die Investoren beispielsweise am Potsdamer Platz von der Stellplatzpflicht, sondern auch von der Abgabepflicht befreit werden. Daimler-Benz müßte eigentlich 16.000 Stellplätze bauen, errichtet aber nur 4.000. Der Konzern müßte deshalb mehr als 300 Millionen Mark in die Landeskasse zahlen – nach Nagel nun wohl nicht mehr. Das ist ein abermaliges Geschenk an Daimler-Benz. Denn den von der EG als zu gering eingeschätzten Kaufpreis für das Grundstück hatte der Senat auch damit begründet, daß für nicht gebaute Stellplätze noch gezahlt werden muß.
Der Bausenator behauptet aber, daß die Änderung der sogenannten Stellplatzverordnung wahrscheinlich so spät in Kraft tritt, daß sie nicht mehr für Daimler-Benz gelten wird.
Warum dann die Eile? Wir fordern vom Senator, daß er, statt die Bauordnung zu ändern, den vom rot-grünen Vorgänger-Senat hinzugefügten Paragraphen 76 anwendet und innerhalb des S-Bahn- Rings den Bau neuer Stellplätze ausschließt.
Dann müßten Bauherren weiter die Ablösesumme zahlen ...
Genau. Weil es aber unsinnig ist, daß diejenigen Strafe zahlen, die sich stadtplanerisch und verkehrspolitisch wünschenswert verhalten, fordern wir das Londoner Modell.
Wie sieht das aus?
In London muß jedes Unternehmen ab fünf Beschäftigten eine Nahverkehrsabgabe entrichten. Investoren zahlen dafür, daß sie mit ihren Bürobauten Verkehr erzeugen. Die Stellplatzverordnung wäre dann – aber erst dann – hinfällig.
Nun ist der Bausenator auch aus einer ganz anderen Richtung kritisiert worden. Wenn keine Parkplätze mehr gebaut würden, werde es erheblich mehr Straßenverkehr geben, weil Autofahrer länger einen Stellplatz suchen müßten.
Wenn man in der Innenstadt weniger Parkplätze zur Verfügung stellt, kommen auch weniger Leute mit dem Auto. Interview: Dirk Wildt
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