: Geschändete Erinnerungen
■ Frühe Fernsehjahre - „Als die Bilder flimmern lernten“, heute, 15.30 Uhr, ARD
Den Besitzern einer Glotze, Mitte der fünfziger Jahre in der Straße an einer halben Hand abzuzählen, wurde von den Erwachsenen das Die-haben's-geschafft-Gefühl entgegengebracht, und die Kinder drängte es zu den glücklicheren Spielkameraden. Selten nur waren die Gelegenheiten, doch die Filme brannten sich ein, wurden wiedergekäut, wurden zum Urschleim der Entwicklung zum homo televisionis.
Die Geschichte in ihrer verhärmten Nachkriegsromantik ist nicht originell; vielmehr gehört das in Serie gestanzte Neuzeiterwachen zum Marschgepäck einer ganzen Wirtschaftswundergeneration: Wie das Fernsehen ins Leben kam. Und trotz der Banalität haftet diesen Empfindungen etwas Unvergängliches an.
Wenige tausend Fernseher gab es beim Sendestart Ende 1952. Wie unpassend: „Tizian“ oder „Raffael“ hießen die monströs schweren Kästen, auf denen sich die Fünfziger-Jahre-Nippes stapelten, von den rauchverzehrenden Porzellanhunden bis zum Hirsch als Fernsehbeleuchtung. Und so unterentwickelt wie die Betrachter war das Medium. „Ein böser Fleck - aber ich kriege ihn schon weg“ hieß eine beliebte Sendung, und selbst das richtige Kofferpacken war dem Fernsehen nicht zu schade für ei nen Beitrag. „Beruferater“ Robert Lemke gab damals noch „Tips für die Hausfrau“, und Hans Hass schnorchelte durch die grausige Meerestiefe.
Der Film geht ab, und jeder 40jährige könnte noch eine Geschichte erzählen, seine ganz persönliche, wie der Fernseher endlich ankam und Muttern seufzte: „jetzt ist der Fortschritt da.“ Abgelagert wie Sedimentgestein sind diese Erinnerungen, geologische Formation des Vorgestern, der Quell, aus dem die Trauma sind.
Nun gräbt das Fernsehen danach, läßt die alten Bilder flimmern. Die Rechnung geht auf: wir sind neugierig auf diese Zeitreise. Wir sehen Robert Lemke, der eine „Hausfrau“ raten läßt. „Kann der Beruf auch von einem Mann ausgeübt werden“, fragt der fesche Guido. Der Zuschauerraum wiehert, und Lemke sagt, „Na, da sagen wir mal nein.“ „Frau oder Fräulein“, fragt der Schweinderl-Verwalter, und mit „Wiedersehen, gnädige Frau“ geht's ab. Der erste Fernsehkoch Clemens Wilmenrod zeigt seine ureigenste Kreation, eine mit einer Mandel gefüllte Erdbeere, und droht Selbstmord an, wenn einer seiner SeherInnen dies Rezept Copyright-mäßig für sich reklamiere. Er tat's dann wirklich, wenn auch aus anderen Gründen.
Die Demokassette läßt Geschichte auferstehen; anfänglich wärmend wie der lang vermißte Lieblingspulli. Doch trotz Schmelzkäsestimme Vico Torriani, trotz Peter Alexander, der „wunderschönes Mädchen“ singt, natürlich noch „frei für den Ehestand“, wie das Refraintrio schubiduht - die Bilder bleiben schal. Moderator Thies sitzt inmitten jenes Interieurs, der inzwischen Kult gewordenen Narretei von damals, dem Mixer, Nierentisch, der Tutenlampe und den kubischen Gardinendrucken. Was wurde aus ihnen, aus den unbekannten Leuten, die unversehens ins Fernsehen gerieten als Quizteilnehmer oder Kulis Assistentin, den zufälligen kleinen Stars von damals, fragt Thies und präsentiert sie uns schamlos.
Mag sein, daß dies die „Wirklichkeit“ war, aber unsere Erlebnisse von damals sind das nicht. Möglicherweise hatten wir niemals jene Erlebnisse, die wir nun als unsere Wahrheit ausgeben, die zu uns gehört wie ein Muttermal. Die Zeit hat alle Erinnerungen verformt, hat im Gedächtnis aus den Versatzstücken einer Kindheit wie Flugsand immer neue Partikel angelagert, bis nur noch der Wunsch, das es so war, daß wir so waren, damals, übrigblieb. Nun sind wir enttäuscht, wollen uns das Recht auf unsere Story nicht nehmen lassen. Nein, die Filme sehe ich mir nicht an, das ist etwas für 20jährige.
Wie hieß es Anfang 1953 kurz nach dem Fernseh-Start in einem Telegramm des damaligen Bundestagspräsidenten Ehlers an das Fernsehen: „Sah eben Fernsehprogramm - Stop Bedauere, daß Technik uns keine Mittel gibt, darauf zu schießen.“ Eben.
Gerd Nowakowski
Frühe Fernsehjahre - als die Bilder flimmern lernten, WDR -Serie in sechs Teilen von Theo Baltz. Ab heute jeweils montags und dienstags um 15.30 Uhr im Ersten.
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