Geschäftsführer über Migrationsmuseum: „So etwas gibt es noch nirgends“
In Köln entsteht Deutschlands erstes großes Migrationsmuseum. Die Politik bewilligte diese Woche die Mittel. Ein Initiator spricht über die Pläne.
taz: Herr Fuchs, der Haushaltsausschuss des Bundestags hat in der Nacht auf Freitag beschlossen, das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“, das Ihr Verein initiiert hatte, mit mehr als 22 Millionen Euro zu fördern. Es wird bald also ein Migrationsmuseum in Köln geben. Knallen bei Ihnen die Korken?
Robert Fuchs: Ich muss ganz ehrlich sagen: Als diese Nachricht durchsickerte, sind sogar ein paar Freudentränen geflossen. Wir haben Leute in unserem Verein, die fast 30 Jahre für dieses Museum gekämpft haben – wir wurden ja 1990 von Migrantinnen und Migranten gegründet. Aber ja, ein paar Korken sind auch in die Luft geflogen.
Wie ging es damals los, also 1990?
Die Gesellschaft dachte ja zu dieser Zeit noch, dass „die Migranten“ schon wieder zurück in ihre Heimat gehen würden. In der Wissenschaft und in Museen tauchte das Thema „Migration“ nicht auf. Da dachten sich unsere Gründerinnen und Gründer: Nein, das ist eine dauerhafte Einwanderung, das müssen wir dokumentieren! Deswegen das „Dokumentationszentrum“ in unserem Namen.
Das müssen Sie sich wirklich wie ein Start-up vorstellen: Die Gründerinnen und Gründer sind damals in die Betriebe und Vereine gegangen und haben angefangen, Objekte zur Migrationsgeschichte zusammenzutragen. Daraus ist eine Sammlung entstanden. Alltagsgeschichtliche Zeugnisse, die gerade deswegen so einzigartig sind, weil die Sammlung von unten entstanden ist, in den Communities also.
Welche Objekte sind da so zusammengekommen?
Zum Beispiel ein Ford-Transit, mit dem ein Gastarbeiter im Sommer immer in die Heimat gefahren ist. Das ist das größte Objekt in unserer Sammlung. Im Moment steht der Wagen aber noch bei Ford, unsere Ausstellungsräume im Bezirksrathaus Köln-Ehrenfeld bieten nicht genug Platz für solche Schätze.
Dafür gibt es ja bald ein Museum. Was erhoffen Sie sich davon?
Ich hoffe, dass es eine doppelte Repräsentationsfunktion übernehmen wird. Dass es auf der einen Seite nach außen hin zeigt: Ja, wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft! Und dass es auf der anderen Seite jene zu Wort kommen lässt, die bisher im Diskurs marginalisiert sind: Migrantinnen und Migranten. Von diesem Haus soll eine Änderung des gesamtgesellschaftlichen Narrativs ausgehen. Was wir brauchen, ist ein multiperspektivisches Geschichtsverständnis, das vielen Menschen die Teilhabe an der gemeinsamen Geschichte ermöglicht. Denn wie soll man sich mit einer Gesellschaft verbunden fühlen, an deren Historie man nicht partizipiert hat?
Robert Fuchs, 41, ist Geschäftsführer des Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland (Domid) und Mitglied im Integrationsbeirat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen.
Der Kölner Integrationsrat hatte schon 2015 angeregt, dass die Stadt die Ansiedlung des Museums in Köln unterstützt. Wieso hat es so lange gedauert, bis die Finanzierung stand?
2015 waren die Anfänge. Dann erfolgte unter anderem eine Machbarkeitsstudie, die durch das Land Nordrhein-Westfalen und die NRW-Stiftung finanziert wurde. Erst 2018 hat der Integrationsrat dann forciert, dass die Stadt Köln mit uns gemeinsam auf eine Standortsuche gehen soll. Und das dauert halt.
Jetzt ist ein Standort gefunden: eine ehemaligen Industriehalle im rechtsrheinischen Köln. Wieso eigentlich Köln?
Köln ist die einzige Millionenstadt in Deutschland mit einer 2000-jährigen Geschichte. Und die war von Anfang an geprägt von Migration. Das lässt sich bis zur Gründung zurückverfolgen. Das heißt, man hat sehr viele historische Anknüpfungsunkte. Um nur einen zu nennen: Armando Rodrigues de Sá. Das war der millionste Gastarbeiter, der hier in Köln angekommen ist. Das Alter der Stadt und ihre Prägung durch Migration ist also ein Argument. Ein anderes ist, dass der Organisationsgrad von Migrantinnen und Migranten hier sehr hoch ist. Das sind alles Dinge, die für das zentral gelegene Köln sprechen. Es gibt hier noch kein Museum, das sich in solchem Maße mit Migration beschäftigt.
Gibt es in Deutschland überhaupt schon ein Museum, das sich mit Migration beschäftigt?
Zumindest nicht in dem Sinne, wie wir das hier vorhaben. Es gibt mittlerweile ein paar Stadtmuseen, die das Thema aufgegriffen haben. Es gibt beispielsweise das Auswandererhaus in Bremerhaven. Aber nein, so etwas wie das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ gibt es noch nirgends hierzulande.
In einer Pressemitteilung schreiben Sie, dass Sie „Migration als Normalfall vermitteln“ wollen. Wenn man aber ein ganzes Museum dem Thema „Migration“ widmet, schreibt man die Unterscheidung in „die“ und „wir“ fort. Muss es nicht darum gehen, diese exklusiven Identitäten zu überwinden?
Tatsächlich ist es genau unser Ansatz, dieses „die“ und „wir“ aufzulösen! Deswegen wollen wir in dem Museum auch nicht chronologisch vorgehen: Erst kam die Gruppe, dann die andere, dann passierte dies und das. Wir wollen vielmehr die Frage stellen: Wie leben wir zusammen? Wie wird unsere heutige Gesellschaft von Migration geprägt? Was sind die zentralen Fragen, die damit verbunden sind? Das sind Fragen nach Grenze, Identität und Wandel. Wir wollen schauen, wie sich beispielsweise die Identitäten von Vertriebenen, Boat-People und Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie Menschen ohne Migrationsgeschichte ähneln. Migration soll so als gestaltende Kraft von Gesellschaft sichtbar werden.
Ist das nicht sehr viel verlangt für ein einziges Museum?
Migration ist ein Querschnittsthema. Deshalb fokussieren wir uns auf bestimmte Konzepte wie Grenzen, Identität, Wandel oder Fremdheit.
Wann wird das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ betriebsbereit sein?
Die alte Industriehalle ist ja ein Bestandsbau, deswegen schwebt uns Ende 2023 als Ziel vor Augen. Uns ist aber bewusst, dass das sportlich ist.
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