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Geschäfte mit der Armut

■ „Die Pest in Bremen“: Buch des Staatsarchivs bietet neue Erkenntnisse über eine alte Seuche

ie Geschichte der Pest muß zumindest in der Hansestadt in weiten Teilen umgeschrieben werden. Wie der langjährige Mitarbeiter des Bremer Staatsarchivs, Klaus Schwarz, jetzt nach intensivem Quellenstudium herausgefunden hat, wimmelt es in den zeitgenössischen Berichten über eine der verbreitetsten Seuchen des Mittelalters und der frühen Neuzeit von verfälschenden Darstellungen. In einem soeben in der Schriftenreihe des Staatsarchivs erschienenen Buch „Die Pest in Bremen“kommt Schwarz zu dem Schluß: „In der Literatur wurde viel dämonisiert – man tat so, als sei durch die Pest das Leben ganz zum Erliegen gekommen.“

Zwischen dem 14. und dem frühen 18. Jahrhundert brach die Pest rund 20 Mal in Bremen aus. Doch die bis heute gängige Vorstellung, daß die Krankheit jeweils die Mehrzahl der EinwohnerInnen dahinraffte, muß nach der Lektüre von Schwarz' Buch korrigiert werden: In den meisten Fällen trat die Pest Schwarz zufolge in regional genau eingrenzbaren Statdtteilen auf. „Während in einem Viertel die Menschen zu Dutzenden oder zu Hunderten starben, wurden wenige Straßen weiter Schützenfeste gefeiert.“

Ähnlich wie bei der Diskussion um Seuchen und Epidemien in der Gegenwart wurde auch auf die Pest auf unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Art reagiert. Je nach politischen und ökonomischen Interessen wurde über- oder untertrieben. So berichteten zeitgenössische Chronisten über das „Große Sterben“in der Mitte des 14. Jahrhunderts, daß die Pest 20.000 Todesopfer gefordert habe. „Das wäre aber die gesamte Bevölkerung Bremens gewesen“, weiß der pensionierte Historiker. Doch dem Rat der Stadt sei diese Sensationsgier nicht ungelegen gekommen, konnten durch die scheinbar verringerte Bevölkerungszahl doch Steuer- und Abgabenzahlungen an das Reich oder die Kirche vermindert werden.

Doch auch in entgegengesetzter Richtung wurde mit der Pest Politik gemacht. Je stärker sich Bremen zu einem Handelsplatz mit vielfältigen Kontakten entwickelte, desto häufiger setzte der Rat auf Vertuschungsstrategien. „Um die Geschäfte nicht zu gefährden, wurde das Ausbrechen der Epidemie so lange wie möglich verleugnet.“Doch diese Taktik führte immer häufiger zu Mißtrauen in den benachbarten Städten. So kam es vor, daß aus Hannover Emissäre ent-sandt wurden, um sich selbst ein Bild von der Lage in Bremen oder den angrenzenden Dörfern zu machen. In diesen Fällen griff der Rat auf ein bewährtes Bremer Rezept zurück: Die Gesandten wurden in den Ratskeller eingeladen und mit Wein gütlich gestimmt.

So amüsant diese anekdotenhaften Kapitel aus der Geschichte der Hansestadt klingen – die Pest war eine grausame Epidemie, an der die meisten Erkrankten nach zwei bis drei Tagen zugrundegingen. Zwar können nach Schwarz Angaben keine genauen Todeszahlen genannt werden, doch fielen dieser durch Flöhe übertragenen Seuche über die Jahrhunderte Zehntausende von Menschen zum Opfer.

Obwohl der Pesterreger erst 1894 entdeckt wurde, zielten viele Maßnahmen zur Seucheneindämmung – theoretisch – in die richtige Richtung. So setzte man auf Quarantäne oder ordnete die Vernichtung von hinterlassenen Textilien an. Haushalte, in denen die Pest auftrat, wurden isoliert und verschlossen. Später wurden Pesthäuser eingerichtet.

In der Praxis wurden die Methoden jedoch auf vielfältige Weise unterlaufen. Nach Schwarz auf knapp 300 Seiten minutiös dargestellten Recherchen wurden – schlecht bezahlte – Soldaten zur Überwachung eingesetzt. Und die holten sich die tagsüber vergrabenen Textilien wieder aus den Gruben, um sie zu verkaufen. Häufig wurden so die Pestflöhe und damit die Pest weiterverschleppt.

Ohnehin traf die Pest die armen Menschen im Stephaniviertel eher als die reichen und Kinder eher als ältere EinwohnerInnen. Und neben den Soldaten machte auch der Rat ganz offiziell Geschäfte mit der Armut: Wenn die Eltern schon erkrankt oder gestorben waren, wurden Frauen aus den Armenhäusern angeheuert und in den Pesthaushalten mit den Kindern eingeschlossen. Klaus Schwarz: „Sie kamen wieder raus – tot oder lebendig.“

Christoph Köster

Klaus Schwarz „Die Pest in Bremen“, 288 Seiten, Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv, Band 60, erhältlich dortselbst und im Buchhandel, 33 Mark

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