: Gesamtberliner Wahlen noch in diesem Jahr?
■ Auch die Westberliner SPD hält Wahlen am 2. Dezember nicht für unwahrscheinlich / Wenn Bundeskanzler Kohl sich mit seinem Vorschlag für gesamtdeutsche Wahlen durchsetzt, sollen kurz darauf Berliner Wahlen stattfinden / AL wartet damit ab, „Grüne“ zu werden
Berlin. Gesamtberliner Wahlen und damit die Vereinigung beider Teile der Stadt noch in diesem Jahr sind nicht mehr unwahrscheinlich: Nachdem sich Bundeskanzler Kohl nach der Schlappe bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ausgeschlafen hatte, brachte er am Tag nach der Wahl entgegen vorherigen Aussagen den 2. Dezember als gesamtdeutschen Wahltermin ins Spiel. Auch die Berliner SPD scheint sich neuerdings auf diesen Wahltag einzustellen.
Der Westberliner SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt erklärte nach der Klausurtagung der Westberliner Sozialdemokraten (teilgenommen haben auch Sozialdemokraten aus Ost-Berlin) in Königslutter, er persönlich gehe von Gesamtberliner Wahlen bis spätestens im Frühjahr 1991 aus. „Ich kann mir vorstellen, daß die Bundesregierung mit ihrem Vorschlag durchkommt“, so Staffelt, die Wahlen in Berlin müßten dann entweder am gleichen Tag oder binnen eines kurzen Zeitraumes stattfinden.
Ähnlich hat sich bereits letzte Woche der Regierende Bürgermeister Momper geäußert. Auf Anfrage erklärte er, es sei immer die Linie des Senats gewesen, daß die Vereinigung Berlins zeitgleich mit der nationalen vonstatten gehen müsse. Obwohl die Sozialdemokraten immer wieder beklagen, daß der Vereinigungsprozeß viel zu schnell vorangetrieben werde, legen sie nun selber ein schnelleres Tempo vor und wollen sich bereits im Spätsommer mit den Ostberliner Parteigenossen vereinigen. Hintergrund für die schnellere Gangart ist die Befürchtung, daß sich in der Übergangszeit in Ost-Berlin zu viele SED-Funktionäre in der kommunalen Verwaltung festsetzen.
Mit dieser flotten Gangart bleibt die SPD kaum hinter der CDU zurück, die sich ebenfalls kurz nach der Sommerpause mit den Kollegen aus dem Ostteil der Stadt vereinigen will. Nach dem Vorschlag Kohls forderte sein Sprachrohr in West-Berlin, der Oppositionschef Diepgen, auch prompt gesamtberliner Wahlen für den gleichen Tag. Bereits vor den Volkskammerwahlen in der DDR hatte Diepgen unermüdlich für den 6. Mai Gesamtberliner Wahlen verlangt, ohne daß klar war, was für eine Art von Gremium dann gewählt werden sollte.
Nach einem klärenden Gespräch mit Staffelt, in dem SPD und CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus ihre Deutschland -politischen Zielsetzungen einander annäherten, wurde diese Forderung in der Öffentlichkeit nicht mehr vertreten. Selbst die AL hält einen gesamtdeutschen Wahltermin am 2. Dezember nicht mehr für unwahrscheinlich. Auf ihrer letzten Mitgliederversammlung am vergangenen Freitag kündigte sie an, für diesen Fall nicht Mitglied der Bundes-Grünen zu werden, sondern als eigenständige Gruppierung neben den Grünen die Neuorganisation der Links-Alternativen diskutieren zu wollen.
kd
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