: Gerechter Rechtsstaat
■ Das Junkerland bleibt in Bauernhand
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dient nicht der Wahrheitsfindung, wohl aber der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit. Die Richter weigerten sich, ihre Roben mit den Talaren der Historiker zu tauschen und eine eigene Einschätzung der Verhandlungen über die deutsche Einheit zu geben. Sie fragten sich nicht, ob die Bundesregierung richtig ermessen hat, als sie der vermeintlichen oder tatsächlichen sowjetischen Forderung nach Irreversibilität der Enteignungen des Bodenreformlandes nachgaben, sondern erklärten, die Bundesregierung habe einen breiten Ermessensspielraum gehabt und diesen nicht mißbraucht. Die Richter haben kein politisches Urteil gefällt, sondern den verfassungsrechtlichen Rahmen politischen Handelns abgesteckt. Das war in den letzten Jahren nicht immer Karlsruher Gepflogenheit. Die Mäßigung wirkt klarstellend, auch was die eigene Rolle anbelangt.
War die Unumkehrbarkeit der Enteignungen Bedingung der sowjetischen Seite bei den Zwei-plus-vier-Gesprächen, wie es 1991 bei der ersten Verhandlung vor dem Bundverfassungsgericht der damalige Außenamtsstaatssekretär Kastrup darlegte? Oder handelte es sich dabei nicht vielmehr nur um „ein Gespür“ der Bundesregierung, wie Kanzleramtschef Bohl es später einmal formulierte? Spürte damit die Bundesregierung mehr dem sowjetischen oder dem Wollen der De-Maizière-Regierung nach, der zum Gefallen die sowjetische Seite ihre entsprechenden Aide-mémoires und Non-papers formulierte, von denen später Gorbatschow und Schewardnadse nichts mehr wissen wollten? Wenn dem so war, wofür einiges spricht, so stand dies, und darauf kommt es an, im Einklang mit dem Verfassungsauftrag, die deutsche Einheit herzustellen, hinter dem der Grundsatz der „Rückgabe vor Entschädigung“ zurückzustehen hat.
Daß solchermaßen eine christdemokratische Bundesregierung eine kommunistische Enteignung sanktionierte, mag als Ironie in die Geschichte eingehen, dem PDS-gehegten Klischee der westdeutschen „Siegerjustiz“ auf ostdeutschem Boden ist damit widersprochen. Den Bewohnern des ehemaligen „Junkerlandes“ ist Gerechtigkeit widerfahren, wo manche von ihnen noch arge Zweifel am Rechtsstaat hegen. Das Urteil mag auch dazu dienen, diese Zweifel auszuräumen. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen