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Gequetscht, ersäuft und gefönt

Vorbei sind die Zeiten, als der Fußball noch „Pille“ hieß und aus Leder war: Die heutige WM-Kugel ist ein High-Tech-Produkt aus Polyurethan und wird in brutalen Laborversuchen entwickelt  ■ Von Gerhard Pfeil

Früher war alles so hübsch einfach. Da war in jedem Fußball bekanntlich ein Frosch und deshalb hüpften Fußbälle. Und Gerd Müller, der große Mittelstürmer, sagte, „wer Fußball spielen kann, der kann das mit allen Bällen“. Und der Große Brockhaus lehrte, daß der Fußball als eines der ältesten aller Spielgeräte gilt, ihn Naturvölker aus Rotang, Pflanzenfasern oder gepreßten Blättern gewickelt hätten, wohingegen ihm Industrievölker eine Gummi- oder Lederhülle verpaßten. Was dann dazu geführt hat, daß sich Sportkommentatoren deswegen in die Metapher vom „runden Leder“ verlieben.

Ja, so war das.

Rundes Leder. Ha! Längst vorbei. Fußbälle sind heutzutage bekanntlich aus Kunststoff. Und der Questra, so heißt das offizielle Spielgerät der Fußball-Weltmeisterschaft in den USA, ist genaugenommen ein rundes Polyurethan. Was natürlch besonders Fernsehkommentatoren nervt, weil sich mit derlei Begriffen nun wirklich nichts anfangen läßt.

Andererseits fügt sich der glückliche Umstand, daß Questras Polyurethanhaut in zweijähriger Entwicklungsarbeit im Hause Bayer gebraut wurde, und knallten den Kickern von einst wassersaugende Lederfossile kopfschmerzenbereitend aufs Resthirn, soll der Questra dank seiner wasserabweisenden und megaelastischen Hülle aus Impranil und Desmoderm „kein Schädelbrummen mehr“ verursachen, wie die Bayer-Werkspostille verheißt. Womit dem einstmals eher flapsig verwendeten Fußball- Synonym „Pille“ durchaus eine neue, ernsthafte Bedeutung zukommen könnte.

Nun ist es allerdings so, daß derart despektierliches Worttum den Erfinder des guten Stücks aus Herzogenaurach reichlich verdrießlich stimmen würde. Immerhin hat er dem Questra alle Wesenszüge verpaßt, die ihn zum König der Kickkugeln machen soll.

Schon beim ersten Einsatz, im Freundschaftsspiel Deutschland gegen Italien, beobachtete zum Beispiel ARD-Chefplauderer Heribert Faßbender vom Sprecherplatz aus „ein neues Abrollverhalten“.

Was wohl an den „geschäumten Kunststoffbahnen“ liegt, die ja so blitzschnell auf Formveränderungen reagieren und in Verbindung mit „gewebten Faserschichten“ obendrein garantieren, daß Questra, erstens, nicht verbeult vom Spielfeld eiert und, zweitens, bis zu zehn Prozent schneller fliegt als Vorgänger Etrusco, Chefball der WM 1990 in Italien. Der war, spaßorientiert betrachtet, ein blödes Trumm: anno '90 wurden nur 115 Tore erzielt in 52 Spielen, die mieseste Quote der gesamten WM-Geschichte.

Ansonsten freilich ist der Questra gewöhnlich wie alle anderen Leidensgenossen. Er wiegt, den FIFA-Richtlinien entsprechend, zwischen 369 und 453 Gramm und hat einen Umfang zwischen 68 und 71,5 Zentimetern und besteht aus 20 Sechseck- sowie zwölf Fünfeck-Teilen, die übrigens in Pakistan „von flinken Händen in rund vier Stunden zusammengenäht werden“, wie die Bayer-Zeitung frohsinnig vermeldet. (Otto Dobrounig, Leiter der Entwicklungs- und Forschungsstelle von adidas in Marmoutier: „Ich persönlich glaube, daß es sich um Ausbeutung handelt. Aber die anderen Firmen machen das ja auch.“)

1.500 der in Deutschland endkontrollierten Bälle nun sind ausgewählt worden, weltmeisterlichen Kickern vor den Schlappen zu kullern. Was sie alle zuvor durchgemacht haben, wird freilich niemand erfahren, wobei das vielleicht gar nicht so schlecht ist, weil sonst noch teilenthemmten US- Amerikanern einfallen könnte, ein committee zur Rettung gequälter Fußbälle zu bilden.

Gleichwohl sollen dem aufgeklärten Sportsfreund die ballverachtenden Gütetestmethoden der Herstellerfirma nicht verborgen bleiben: So wird jeder Questra beim Wasserbeständigkeitstest nicht nur einfach ersäuft, nein, beim Vorgang des Ersäufens wird er auch noch zusätzlich von einem Kolben um ein Drittel seines Durchmessers zusammenquetscht. Hat der Ball diese haarsträubende Folter ohne Wassereinbruch überstanden, sperrt man ihn in einen „Schußkäfig“ (wie das schon klingt), in welchem er 5.000 (!) Mal mit 50 Kilometern pro Stunde (!!) gegen eine Stahlwand (!!!) geballert wird.

Doch weiter: Kielgeholt und weichgeschossen, wird der Gepeinigte anschließend im Windkanal einer Autofirma starkwindgefönt und auf seinen cw-Wert überprüft, danach ...

Schluß damit! Wir wenden uns ab mit Grausen, versprechen bei jedem künftigen Kick der Opfergänge zu gedenken und fordern hiermit alle Profis bei der WM auf, kurz innezuhalten, bevor sie dem Questra in den Leib stiefeln. Oder ist das etwa zuviel verlangt?

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