Geplante Lauterbach-Entführung: „Kindliche Naivität gepaart mit sonnigem Größenwahn“
Sie planten, Karl Lauterbach zu entführen und die Bundesrepublik abzuschaffen. Julian V. wollte ihnen die Waffen dafür liefern. Jetzt wurde er verurteilt.
Der Vorsitzende Richter Philipp Stoll begann die Urteilsbegründung am Montagmittag mit zwei Zitaten. Von „kindlicher Naivität gepaart mit sonnigem Größenwahn“ habe V.s Verteidiger mit Blick auf seinen Mandanten gesprochen. „Brandgefährlich“ habe dagegen der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft dessen Tun genannt. „Das eine schließt das andere nicht aus“, befand nun Stoll und verurteilte den Mann, der da in grauer Trainingshose und Kapuzenpulli vor ihm saß, wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Die Schwelle für diesen Tatbestand sei sehr niedrig, erklärte der Richter. Nach seiner Überzeugung sei Julian V. kein Reichsbürger. „Herr V. hatte ganz andere Motive.“ Vor allem hob Stoll das besondere Geltungsbedürfnis des Angeklagten hervor. Auch seien dessen militärischen Vorlieben sehr ausgeprägt. In Kombination mit einer immer wieder auftretenden, „alkoholbedingten Enthemmung“ habe dies fatale Folgen gehabt.
Wie sich V. in sogenannten sozialen Netzwerken präsentierte, ging allerdings weit über sein Faible für alles Militärische hinaus. Als sein Lieblingszitat nannte er dort beispielsweise den SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“, eine in Deutschland verbotene Parole. Bei Richter Stoll kam so etwas nicht zu Sprache, er attestierte V. indes lediglich „eine Skepsis zu den Corona-Maßnahmen“ sowie „Distanz zur aktuellen Politik“.
Öffentlichkeitswirksame Entführung während Talkshow
V. war im Januar 2022 ins Visier der Ermittler geraten, als er sich in einer Telegram-Chatgruppe namens „Veteranenpool“ von einer Verschwörergruppe, die sich „Vereinte Patrioten“ nannte, anwerben hatte lassen. V hatte behauptet, Kontakte in Kroatien zu haben, die ihm zehn Tonnen Waffen und Munition überlassen würden, und sie den Umstürzlern angeboten. Bei einem Treffen im Allgäu zwei Monate später wurden weitere Details des Deals besprochen. Spätestens hier muss V. auch erfahren haben, was seine Partner planten.
Es klingt wirr und nicht ganz ausgereift, was diese sich vorgenommen hatten. Und auch wenn der geplante Umsturz wohl sehr, sehr weit von seiner Verwirklichung entfernt war, war die Sache keinesfalls ungefährlich, hätte durchaus Menschenleben kosten können. Davon sind auch die Ermittler überzeugt, die sich dank abgehörter Telefonate ein recht genaues Bild über die Absprachen der Möchtegern-Revolutionäre machen konnten.
So sollte der in der Reichsbürger- und Querdenkerszene besonders verhasste Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach entführt werden – möglichst öffentlichkeitswirksam während der Teilnahme an einer Talkshow. Der bizarre Gedanke dahinter: Lauterbach sei in der Bevölkerung derart unbeliebt, dass man sich auf diese Weise die Unterstützung der Menschen sichern könnte. Zu dem Plan gehörte auch, einen Doppelgänger für den Bundeskanzler oder wahlweise den Bundespräsidenten zu organisieren, der dann in einer Videobotschaft an das deutsche Volk, das Ende der Bundesrepublik verkünden sollte. So sollte eine Legitimität der Machtübergabe vorgetäuscht werden.
Hilfe von Putin erhofft
Im Anschluss sollte mit Anschlägen auf Strommasten und Transformatoren ein großflächiger Stromausfall verursacht werden, der die deutsche Infrastruktur für mehrere Wochen lahmlegt: Operation „Silent Night“. So sollten nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft bürgerkriegsähnliche Zustände herbeigeführt werden, die die Verschwörer für die eigene Machtübernahme zu nutzen gedachten.
Hilfe für die Umsturzpläne erhoffte man sich auch aus dem Ausland. Mit einem Brief wollte man sich an den russischen Machthaber Wladimir Putin wenden, um ihm eine Zusammenarbeit anzudienen. Ziel war offenbar die Wiedererrichtung einer Staatsform nach Vorbild des Kaiserreichs von 1871. Nach Überzeugung der Gruppe ist dessen Verfassung ohnehin noch in Kraft. Eine Konstituierende Verfassung hätte dann die Details klären sollen. Für deren militärischen Schutz sei ebenfalls V. ebenfalls eingeplant gewesen.
Dem Urteil war eine Verständigung vorausgegangen. Die Staatsanwaltschaft hatte denn auch nur eine Strafe von einem Jahr und zehn Monaten gefordert, V.s Anwalt vier Monate weniger. Seit Mai 2023 müssen sich bereits fünf der verhinderten Revolutionäre in Koblenz vor Gericht verantworten. Einem weiteren Mitglied der Gruppe wird seit August diesen Jahres in Frankfurt am Main der Prozess gemacht.
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