in fußballland : George Best der Kindheit
Christoph Biermann über ...
Ich glaube, dass er mit Vornamen Roland hieß und dass sein Nachname auf -ski endete, wie das halt im Ruhrgebiet so ist, mit all den Koslowskis, Kaminskis und Sobotkis, die aus Polen kamen und tief in der Erde nach Kohle buddelten. Rolands Vater arbeitete aber nicht auf der Zeche, und meine Mutter warnte mich, dass diese Leute Proleten seien. Was ich aber nur als Hinweis verstand, dass es bei denen zu Hause wohl anders zuging als bei uns. Und schon war meine Neugier geweckt, zumal Roland sagenhaft gut Fußball spielen konnte.
Wir kickten nachmittags immer auf dem Sportplatz des Mädchengymnasiums, der diesen Namen eigentlich nicht verdiente, denn er bestand nur aus einem Rechteck roter Asche und einem asphaltierten Basketballfeld, auf dem nie jemand spielte. Wir hingegen machten es so, wie es viele Generationen von Zwölfjährigen vor uns schon gemacht hatten und viele danach: Wir erledigten eilig unsere Hausaufgaben und spielten dann, bis es dunkel wurde. Ein Spiel hatte nicht neunzig Minuten, sondern ein Vielfaches davon. Wenn es zu einseitig wurde, etwa beim Stand von 23:8, mischten wir die Mannschaften neu, aber eine umkämpfte Partie konnte auch schon mal drei Stunden dauern.
Wie umkämpft diese Spiele waren, hatte immer auch damit zu tun, ob Roland mitspielte oder ob es uns gelang, ihm so viele schlechte Spieler in seinem Team zuzuschlagen, dass seine turmhohe fußballerische Überlegenheit nicht umweglos zu langweiligen Resultaten führte. Irgendwie konnte Roland auf dem Platz nämlich alles: Er war schneller und stärker als wir, vor allem aber beherrschte er die tollsten Tricks, selbst wenn wir mit einer „Flautsche“ spielen mussten, wie wir einen Ball nannten, in dem nicht genug Luft war. Jedenfalls entzog sich Roland unseren Versuchen, ihm den Ball abzunehmen, ohne große Probleme, was manch aufgeschürftes Knie und manch blutigen Oberschenkel zur Folge hatte, wenn wir es in unserer Verzweiflung mit Tacklings versuchten.
Roland wirkte immer etwas distanziert und so, als wolle er um seine Fähigkeiten nicht zu viel Aufhebens machen. Angeblich spielte er auch noch in einem Verein, und dass Roland in richtigen Fußballspielen mittat, verstärkte meine Wahrnehmung seiner mystischen Aura nur noch. Seit einem Besuch in der engen Dachwohnung seiner Eltern wusste ich außerdem, dass Roland über tolles Geheimwissen verfügte, denn er hatte mir Singles von T.Rex und Suzie Quatro, von Mud und von The Sweet vorgespielt. Als ich die Cover der Platten sah, wusste ich auch, woher Roland, der schon keinen Kleine-Jungs-Haarschnitt mehr trug, die Inspirationen zu seiner Frisur bezog.
Ich fand die Musik, die Haare so unendlich cool wie seine Hackentricks und Übersteiger. Wenn so Proleten waren, wollte ich auch einer sein. Andererseits war mir Roland auch etwas unheimlich, denn irgendwie wurden von dieser Suzie Quatro in den Lederklamotten offensichtlich Dinge verhandelt, die damals in der Welt eines Zwölfjährigen verdammt bedrohlich erschienen. Man muss es wohl Sex nennen, was ein ziemlich dunkler Kontinent war, auf dem Roland aber wohl im weitesten Sinne Erfahrungen zu haben schien, wie er andeutete, wenn er von der Hauptschule erzählte, in der er gemeinsam mit Mädchen in eine Klasse ging, während wir auf dem Jungengymnasium rätselten, was es mit dem anderen Geschlecht so auf sich hatte.
Irgendwann kam Roland seltener zum Fußballspielen, der George Best meiner Kindheit glaubte wohl, dass es Aufregenderes gäbe, als mit anderen Jungs in einer Staubwolke hinter Bällen herzulaufen, in denen auch noch zu wenig Luft war. Er entschied sich gegen unsere Bewunderung, gegen Dribblings und Tore. Er entschied sich für Singles mit lauter Musik, für Asbach-Cola und dafür, Mädchen unter den Rock zu fassen. Leider konnte ich ihn nie fragen, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Als ich hingegen aufhörte, nach dem Fußballspielen Milch zu trinken, gab es immer noch kein Fußballtalent zum Verschwenden.
Fotohinweis: CHRISTOPH BIERMANN, 44, liebt Fußball und schreibt darüber.