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„Genickschuß“

■ betr.: Erwiderung der Autorin B. Kerneck, LeserInnenbriefe, taz v. 7. 8. 95

[...] Tatsächlich ist nicht hundertprozentig geklärt, ob Kirow in seinem Büro oder in einem Handgemenge auf dem Flur erschossen worden ist. Meine, wie ich glaube, besseren Quellen sagen: im Büro. Aber da hier alles vertuscht worden ist, kann man ganz Genaues nicht sagen. Mir kam es auf den „Genickschuß“ an.

Was nun Puschkins Tod angeht, so befinde ich mich auf sicherem Boden. Hier weiß ich, auch nur durch einen Zufall, genau Bescheid. Sie müssen bedenken, daß eine Liaison zwischen der Frau des berühmtesten Dichters Rußlands und dem Zaren niemals unbemerkt hätte vonstatten gehen können. Noch nie hat jemand behauptet, der Zar und die Puschkina hätten ein Verhältnis gehabt.

Es war so offensichtlich nicht der Fall, daß der Zar Puschkin zum Kammerherrn ernannte. Dann mußte er, der Nichttänzer, mit seiner Frau zu den Hoffeierlichkeiten erscheinen und mitansehen, wie der Zar mit seiner Frau etliche Tänze absolvierte. Das mag ihn, der sich ja auch in doppelter Moral zu bewegen pflegte, erregt und aufgewühlt haben. Aber das Duell ist keinesfalls vom Zaren arrangiert worden, der vermutlich auch wußte, daß Puschkin ein miserabler Schütze war. Wahr ist auch, daß Hofkreise im Umkreis der französischen Botschaft heftig intrigiert haben. Es war Puschkins Schwager, der ihn zur Strecke brachte. Dies war natürlich ein untrügliches Zeichen dafür, daß Zar Nikolaus selbst die Hand im Spiel gehabt haben mußte. Cui bono? Der Zar konnte nicht mehr mit Frau Puschkin tanzen, sein unangefochten berühmtester Dichter war tot, nicht etwa ein Rivale. Nach aller Menschenerfahrung ist es ausgeschlossen, daß Zar Nikolaus das gewollt und arrangiert hat. Mit freundlichen Grüßen Rudolf Augstein,

„Der Spiegel“, Hamburg

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