: Generalstreik in der Sowjetrepublik Armenien
■ Seit gestern dreitägiger Generalstreik nach Weigerung des ZK der KPdSU, Berg-Karabach an Armenien anzuschließen / Am Mittwoch Abstimmung des Obersten Sowjets Armeniens über die Angliederungsfra
Generalstreik in der Sowjetrepublik Armenien
Seit gestern dreitägiger Generalstreik nach Weigerung des ZK der KPdSU, Berg-Karabach an Armenien anzuschließen / Am
Mittwoch Abstimmung des Obersten Sowjets Armeniens über die Angliederungsfrage / Polizist in Baku von Querschläger
tödlich getroffen
Moskau (afp/rtr) - Die wichtigsten Städte der kaukasischen Sowjetrepublik Armenien sind am Montag durch den am Vortag angekündigten und für drei Tage geplanten Generalstreik lahmgelegt worden. Auf telefonische Anfrage sprach ein Journalist des armenischen KP-Organs 'Kommunist‘ von einem „nationalen Streik“ zur „Unterstützung“ für sieben Armenier, die seit dem 4.Mai in Eriwan für die Wiederangliederung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten aserbeidschanischen Enklave Nagorny-(Berg)-Karabach demonstrieren. Am Mittwoch soll der Oberste Sowjet (das Parlament) Armeniens über seine Haltung in der Karabach-Frage abstimmen. In der armenischen Hauptstadt Eriwan, wo sich am Sonntag abend 500.000 Menschen im Zentrum zu einer Kundgebung versammelt und den Generalstreik gefordert hatten, lief gestern nichts - alle öffentlichen Verkehrsmittel ruhten, berichtete Igor Muradian, ehemaliges Mitglied des „Karabach-Komitees“. Wie er weiter mitteilte, ging dem Generalstreik die jüngste Weigerung des Zentralkomitees der KPdSU voraus, Berg -Karabach aus der Republik Aserbeidschan auszugliedern und es Armenien anzuschließen. Anderen Berichten zufolge sollen zahlreiche Persönlichkeiten, darunter auch die bekannte armenische Schriftstellerin Silva Kaputikian, die Demonstranten zur Mäßigung aufgefordert haben - erfolglos. Muradian sagte ferner, das ZK habe bei der Sitzung am 9.Juni angeregt, der Enklave den Titel „autonome Republik“ (statt bisher autonome Region) zu verleihen. Es habe den armenischen Parteichef Soren Arutunian sowie den KP-Chef von Berg-Karabach, Pogossian, nachdrücklich aufgefordert, die Ruhe in den Streikregionen wiederherzustellen. Allerdings habe sich das ZK nicht einem Antrag des ebenfalls bei der Sitzung anwesenden Generalstaatsanwalts Alexander Sucharow angeschlossen, strafrechtlich gegen das Streikkomitee „Krunk“ vorzugehen, das die Demonstrationen in Berg-Karabach koordiniert.
Hinsichtlich der Unruhen in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku vom vergangenen Wochenende bestätigte Muradian, daß ein aserbeidschanischer Polizist am Sonntag den Schußverletzungen erlegen sei, die ihm ein Armenier am Vortag zugefügt hatte. Dieser sei festgenommen worden. Daß auch Armenier getötet wurden, wie am Sonntag aus Baku und Eriwan berichtet worden war, konnte Muradian nicht bestätigen. Auch das aserbeidschanische Außenministerium in Baku und der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums in Moskau, Gennadi Gerassimow, bestätigten, daß während einer antiarmenischen Demonstration von 10.000 Menschen in Baku am Samstag ein aserbeidschanischer Polizist durch einen Querschläger tödlich getroffen wurde. Gleichzeitig dementierte Gerassimow jedoch Berichte aus Baku und Eriwan, wonach auch mehrere Armenier getötet worden waren. Noch am Sonntag hatte ein Sprecher der Polizei erklärt, die Demonstration in Baku sei ohne Zwischenfälle verlaufen. Menschenrechtler mit guten Kontakten nach Baku hatten in Moskau berichtet, es habe dort sogar mehrere Tote gegeben.
Am kommenden Mittwoch stimmt der Oberste Sowjet Armeniens über die Angliederungsfrage ab. Muradian vertrat die Auffassung, die etwa 300 Delegierten würden - angesichts massiven Drucks seitens ihrer Wähler - vermutlich für eine wohlwollende Prüfung des Antrags votieren; „jedoch könnte Moskau einige Spitzfindigkeiten vorgesehen haben, um (dem Antrag) sein Gewicht zu nehmen“, so Muradian. Ohnehin hängt der Fortgang des Entscheidungsprozesses vom Votum des aserbeidschanischen Parlamentes ab, das am 17.Juni über die Vorlage abstimmt und dem verfassungsgemäß ein Vetorecht für jede Änderung seiner Republikgrenzen zukommt.
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