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General Adzic ist nun am Ruder

Manche Beobachter in Belgrad malen einen Militärputsch an die Wand, anderen glauben, daß gerade Hardliner wie General Adzic den Waffenstillstand und den Einsatz von Blauhelmen durchsetzen  ■ Aus Budapest Roland Hofwiler

Was bereits seit Monaten spekuliert wurde, ist seit gestern amtlich: Der eigentliche starke Mann der jugoslawischen Bundesarmee heißt Blagoje Adzic. Breits am 31. Dezember war es dem General gelungen, seinen Vorgesetzten, Verteidigungsminister Veljko Kadijevic, nach einem monatelangen Machtkampf auszuschalten. Warum Kadijevics „Rücktritt aus Gesundheitsgründen“ aber erst jetzt bekanntgegeben wurde, darüber gibt es in der serbischen Öffentlichkeit nur Spekulationen.

Nach einer dieser umlaufenden Theorien ist der „liberale“ Kadijevic ein Mann des Serbenpräsidenten Slobodan Milosevic, Blagoje Adzic dagegen ein Freund des radikalen Serbenführers und selbsternannten „Präsidenten“ des „autonomen Gebietes Krajina“, Milan Babic. Adzic ist der einzige Überlebende eines Massakers, das im Zweiten Weltkrieg kroatische Ustascha-Faschisten in seiner Heimatgemeinde anrichteten. So steht es zumindest in der offiziellen Militärenzyklopädie geschrieben, wonach Adzic 1930 in einem kleinen Ort in der gemischt kroatisch-serbisch bewohnten Herzegowina zur Welt kam, sich als Jugendlicher den kommunistischen Partisanen anschloß und nach Kriegsende eine militärische Schulung in der Sowjetunion durchlief.

Adzic erklärte Slowenien und Kroatien den Krieg

Adzic brachte es zur Tito-Zeit zwar zum General, hielt aber keine besondere Position inne. Er war ein unbekannter Militär. Erst im Juni letzten Jahres, als der Krieg gegen Slowenien begann, als das jugoslawische Staatspräsidium als höchstes Machtorgan funktionsunfähig war, da sich der „serbische Block“ weigerte, den Kroaten Stipe Mesic als turnusmäßigen Staatspräsidenten zu installieren, trat Adzic erstmals auf den Plan. In einer dramatischen Fernsehrede kündigte er am 5. Juli die „Eröffnung einer slowenisch-kroatischen Kriegsfront“ an. In einer Geheimrede tags darauf erklärte der Generalstabschef vor 150 hohen Offizieren, die „jugoslawische Volksarmee befindet sich im Krieg, der ihr von den Sezessionisten in Slowenien und Kroatien aufgezwungen wurde.“ Doch die Armee werde „ohne Rücksicht“ gegen die beiden Republiksregierungen vorgehen, die sich mit „Großdeutschland“ verschworen hätten.

In den folgenden Wochen und mit der militärischen Niederlage in Slowenien kamen dann die ersten Gerüchte auf, Kadijevic, der die „Strafaktion“ geleitet hatte, sei unter den Druck radikalerer Generäle gekommen, die wie Adzic das Vorgehen der Streitkräfte als nicht entschlossen genug beurteilten. Wie man heute weiß, begann damals ein Machtkampf zwischen dem Verteidigungsminister und seinem Generalstabschef, der nun zu Gunsten des Falken entschieden wurde.

Adzic gründete Ende Juli einen eigenen „Kommandostab“ bestehend aus 16 Generälen, der einen „schleichenden Putsch über die Republiken Jugoslawiens einleitete“ (Stipe Mesic). Darunter eben auch so „schillernde“ Namen wie Zvonko Jurijevic, der für den Abschuß des EG-Helikopters am Dienstag verantwortlich zeichnet, Stefan Mirkovic, der mit den Putschisten in Moskau kooperierte und in der Auflösung der Sowjetunion ein „Teufelswerk“ des Westens sieht und zuletzt Marko Negovanovic, langjähriger Chef des jugoslawischen Geheimdienstes, der im Ausland lebende Emigranten ermorden und verfolgen ließ.

Für nicht wenige unabhängige jugoslawische Zeitungen gilt deshalb: Adzic und seine Clique sind für das Scheitern aller bisherigen Waffenstillstandsabkommen und für die sinnlosen Bombardements auf die kroatische Zivilbevölkerung verantwortlich zu machen. Gestern mutmaßten manche Blätter, Adzic und Babic lehnten nach wie vor die Stationierung von UNO-Truppen kategorisch als Zeichen der Kapitulation ab. Und deshalb hätten sie sich offen gegen die Politik des serbischen Präsidenten Milosevic und auch des entmachteten Verteidigungsministers Kadijevic gestellt, der UNO-Blauhelme begrüßt, weil ihm als „politischem Realist“ mittlerweile klar geworden sei, daß der Krieg mit militärischen Mitteln allein nicht mehr zu gewinnen ist.

Militärputsch in Serbien ?

Manche Analytiker gehen sogar noch weiter: der „Kommandostab“ baue bereits an einer Millitärregierung. Es gilt mittlerweile als gesichert: 16 Generäle betrachten sich als die „letzten Retter“ des zusammenbrechenden Vielvölkerstaates. Chef des „Kommandos“ sei General Blagoje Adzic, die anderen Militärs sind keine Unbekannten. Darunter befindet sich Stevan Mirkovic, der öffentlich den versuchten Staatsstreich in der Sowjetunion begrüßte und nun die radikalen Umwälzungen mißbilligt. Zivota Avramovic wurde ohne Regierungsbeschluß eigenmächtig Oberkommandierender des fünften jugoslawischen Militärbezirks zu dem ganz Slowenien und die Gegend um Zagreb gehört. Jahrelang leitete Avramovic das Komando über die albanisch besiedelte Kosovo-Provinz, vor Slowenien und Kroatien der nationale Krisenherd Jugoslawiens schlechthin. Marko Negovanovic, Chef der geheimdienstlichen Spionageabwehr KOS, soll noch vor drei Jahren die Ermordung von einem Dutzend Regimekritikern und Emigranten im Ausland verantwortet haben.

Zuletzt wäre noch Branko Mamula zu nennen, bis 1988 Verteidigungsminister und Armeechef, von dem man weiß, daß er mehrmals mit dem Gedanken spielte, die damals experimentierfreudige reformkommunistische Regierung Sloweniens durch einen „lokalen Putsch“ abzusetzen.

Doch andere Analytiker wollen von solchen Gedankenspielen nichts wissen: für sie ist Adzic ein Bündnis mit Milosevic gegen die Radikalen eingegangen um den Waffenstillstand durchzusetzen und die eroberten Gebiete in Kroatien durch internationale Verhandlungen für Serbien zu gewinnen.

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