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Genauso wichtig wie Sex

■ Alte Schamanen-Rituale oder moderne Techno-Raves: Der Mensch auf der Suche nach Ekstase

Wenn der Flowerpower-Papi seinen Techno-Kids ernsthaft vorwerfen würde, sie ließen sich auf Hexenrituale ein, würden die ihn wohl für endgültig abgedreht halten. Doch wenn der Ethno-Mediziner und Altamerikanist Christian Rätsch in der Vortragsreihe des Hexenarchivs über „Pilzkreise und Tranceparties: Ritueller Gebrauch von psychoaktiven Substanzen im modernen Mitteleuropa“ spricht, ist das Auditorium des Völkerkundemuseums gerappelt voll.

Außer Alkohol werden in Europa alle Drogen seit Jahrhunderten verteufelt, mit dem paranoiden Begriff „kulturfremd“ ausgegrenzt und weitgehend gesetzlich verboten. Einst lernten die spanischen Eroberer in Mittel- und Südamerika bewußtseinserweiternde Rituale kennen, von denen sie zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hatten. Teonanacatl – „das Fleisch der Götter“ – hießen die Pilze, Kakteen, Stechapfelfrüchte und Windensamen, deren Genuß visionäre Begegnungen mit den Geistern und weise Erleuchtung versprach.

Christian Rätsch gab Donnerstag abend vor seinen jungen Zuhörern jedoch keine trockene Nachricht von alten und fernen Kulturen: Er kam schnell auf hier heimische Pilze, die gleichfalls berauschen können – wie den „Dunkelrandigen Dünnerling“. Schon der Schweizer LSD-Erfinder Albert Hofmann hatte europäische Dungpilze der Gattung „Psilocybe“ getestet und dabei zwei Alkaloide entdeckt, die dem LSD ähnelten. Der Redner im Fliegenpilz-T-Shirt zeigte vorgestern für die Nutzung der „Psilocbybe cyanesta“ viel Sympathie: Die unscheinbaren Pilze würden sogar im Hamburger Stadtgebiet wachsen und sich bequem selber züchten lassen.

Rätsch gewährte Einblick in die Geheimkultur der hiesigen Pilzkreise. Er berichtete von Gemeinschaftsfeiern in Schwitzhütten und Tipis, vom Rekurs auf germanisches und indianisches Gedankengut sowie von speziell entwickelten Objekt- und Schmuckformen. Der teils kryptischen, teils offen gesuchten Beziehung der Techno-Kultur zum traditionellen Schamanismus und seinen Ritualen galt der zweite Teil des Abends.

Der Ethnologe sieht schamanische Praktiken heute weniger in fernen Kulturen als direkt in den Clubs der Großstädte. Schließlich muß es eine Bedeutung haben, wenn die britischen Techno-Musiker The Shamen Millionen CDs verkaufen, auf denen Pilzkenner Terence McKenna seine psychedelischen Erfahrungen zu schnellen Beats rapt. Nicht zufällig zierten Pilze die Cover, würden Fans mehr als zwölf Stunden ohne Unterbrechung tanzen: Der Bezug zu alten rituellen Festen ist kein Einfall eines ungewöhnlichen Ethnologen, sondern wird von der Szene selbst gesucht.

Trance ist erklärtes Ziel und die passende Droge heißt Ecstasy. Ein – chemisch betrachtet – alter Hut: Seit 1914 ist der Wirkstoff MDMA bekannt, die kleinen Pillen sind heute verboten. Für Getränkeher-steller der passende Rahmen, um müde Limonaden mit Namen wie XTC zu schmücken und als Placebo-Psychedelia zu vermarkten.

Dabei benötigt der Mensch die wahre Ekstase-Erfahrung genauso dringend wie Nahrung oder Sex. Aus dieser Überzeugung machte Rätsch bei seinem Streifzug durch die Welt der modernen Rituale keinen Hehl: „Mystische Ekstase ist genauso leicht oder schwer wie ein Orgasmus – und auch davon möchte ich nicht nur einen im Leben haben.“ Hajo Schiff

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