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Gen-Daten ohne Gesetz erheben

Kanther sammelt genetische Fingerabdrücke, bevor der Bundestag neuer Ermittlungspraxis zustimmen kann. Dissens über gespeicherte Verbrechen  ■ Aus Bonn Jürgen Gottschlich

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) wird zunächst ohne gesetzliche Regelung eine zentrale Datei sogenannter genetischer Fingerabdrücke aufbauen. Dafür bedarf es lediglich der Zustimmung der Innenminister der Länder zu einer von Kanther erlassenen „Errichtungsanordnung für die Zentrale DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt“ (BKA). Das Innenministerium ist nach taz- Informationen bereits damit beschäftigt, diese Zustimmung einzuholen. Kritiker hatten wegen der massenhaften genetischen Speicheltests im Mordfall Christina eine gesetzliche Grundlage für die neue Ermittlungspraxis gefordert. Innenminister Kanther geht jedoch davon aus, daß das bestehende BKA-Gesetz ausreicht, um eine zentrale Datei mit individuellen Profilen des Erbguts von Straftätern und Verdächtigen einzurichten. Das Gesetz über das Bundeskriminalamt regelt die Erfassung von personenbezogenen Daten aus erkennungsdienstlichen Behandlungen. Ohne Zustimmung der Länder gibt es aber keine Daten, da die jeweiligen Landeskriminalämter dem BKA die Informationen zur Verfügung stellen müssen. Eine grundsätzliche Einigung über die zentrale DNA-Datei hat der zuständige Arbeitskreis der Innenministerkonferenz bereits erzielt.

Selbst das Bundesjustizministerium sperrt sich nicht dagegen, die DNA-Zentraldatei organisatorisch vorzubereiten und parallel dazu einen Gesetzentwurf zu beraten. Er soll noch vor der Bundestagswahl im September beschlossen werden. Einen ersten Entwurf hatte Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) bereits im Februar zur Stellungnahme an die Länder verschickt. Wesentlicher Dissens zwischen Schmidt-Jortzig und Kanther ist der Personenkreis, der in der Datei landen soll. Justiz und Datenschutz wollen die Speicherung auf schwere Verbrechen wie Sexualstraftaten oder Vergehen gegen Leib, Leben und persönliche Freiheit beschränken. Der Innenminister möchte hingegen alle „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ berücksichtigen. Das kann alles mögliche sein und ist letztlich eine Ermessensfrage. Umstritten ist auch die Dauer der Speicherung. Schmidt-Jortzig möchte 20 Jahre als Obergrenze festsetzen, Kanther reicht das nicht.

Weitgehende Einigkeit besteht über die Art der Speicherung. Festgehalten werden sollen verurteilte Straftäter und Spuren aus aktueller Ermittlungsarbeit. Die Zuverlässigkeit einer DNA-Analyse hängt davon ab, welches Material zur Analyse zur Verfügung steht. Benötigt wird immer ein Zellkern, der bei Blutflecken nicht immer vorhanden ist. Aus Sperma ist dagegen stets ein zuverlässiger Abdruck möglich. In der Regel reicht aber auch Speichel, ein Haar oder ein Hautpartikel. Die Errichtungsanordnung Kanthers stützt sich im wesentlichen auf Erfahrungen in Österreich, der Schweiz und Großbritannien. In allen drei Ländern wird der genetische Fingerabdruck bereits extensiv genutzt.

Vor allem Großbritannien spielt in Europa eine Vorreiterrolle. Rund 130.000 Datensätze sind nach Informationen der Sprecherin des Bundesdatenschutzbeauftragten, Helga Schuhmacher, dort bereits gespeichert. Hauptsächlich genutzt wird der genetische Fingerabdruck zur Aufklärung von Einbrüchen. „Die Engländer“, so Schuhmacher, „sind auf dem Gebiet sehr erfolgreich.“ Wohl deshalb will Kanther seine Gen-Datei nicht auf schwere Verbrechen beschränkt sehen.

Im Prinzip ist aber auch Kanther an einer gesetzlichen Regelung interessiert. Ohne Gesetz kann es passieren, daß eine erfolgreiche Klage wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten die gesamte Gen-Datei wieder in Frage stellt. Deshalb, so ein Sprecher des Justizministeriums, wird es innerhalb der Koalition wohl bald zu einer Einigung über einen gemeinsamen Gesetzentwurf kommen. „Wir sind da nicht so dogmatisch.“ Damit ein Gesetz in dieser Legislaturperiode noch verabschiedet werden kann, muß eine Fraktion den Entwurf direkt in den Bundestag einbringen.

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