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Gemurmelte Amerikana

■ Eindringliche Herzlichkeit und großstädtische Neurosen beiläufig vorgetragen: Die Sin Ropas und Paloma im Knust

Tim Hurley hat ein Problem. Er ist Sänger wider Willen. Von denen gibt es zurzeit zwar viele, man denke nur an die Heerscharen nominierter Container-Bewohner, doch ist Hurleys Problem nicht die Stimmlosigkeit. Er kann seinen eigenen Gesang einfach nicht leiden. Ein Befund, den Hurley zwar glücklicherweise mit niemandem sonst teilt, der aber dazu führt, dass der Sänger unvernehmbar leise singt. Wer beispielsweise das erste Stück des letztjährigen Sin Ropas-Debüts Three Cherries bis zum Anschlag aufdreht, vernimmt etwas von jener eindringlichen Herrlichkeit, die sich selbst nicht wahr haben will. Etwas, das sich von der Lautstärke her irgendwo zwischen Gedanken und Tiefschlafgemurmel bewegt, sich anschleicht, umdreht, verschwindet, um urplötzlich wieder präsent zu sein. Die Beiläufigkeit des Vortrags erinnert an den frühen J. Mascis, die Bestimmtheit der Worte jedoch ist eigen.

„Dark American Music“ nennen Amerikaner solche Musik in der Ahnung, dass sich dahinter ihr eigenes Geheimnis verbirgt. Die Wirklichkeit indes ist eher profan. Tim Hurley und Danni Iosello gründeten die Sin Ropas vor zwei Jahren in Chicago. Während Hurley sich zuvor bei den refolgreichen Indie-Rockern von Red Red Meat verdingte, führte Iosello eine Bar in Chicago, in der sich die Post-Rock-Posse um Tortoise und Steve Albini regelmäßig auf die Füße trat.

Beide Erfahrungen färbten sowohl den Sound ihres Zweitprojektes Califone wie auch den der Sin Ropas. Ein Sammelsurium akustischer Instrumente – Banjo, Bass, Perkussion, Melodika, alte Orgeln – und eben Hurleys Stimme bilden ein sehr in sich gekehrtes Amerikana-Modell: harmonisch verschlängelt in zart-dissonanten Moll-Tönen, Uncle Tupelo oder einem sehr lyrischen Neil Young im Wesen näher stehend als irgendwelchen großkalibrigen Horizontabsuchern vom Schlage Calexico. Introvertiert wäre hier sicher der richtige Ausdruck, wäre da nicht Danni Iosello. Sie ist es, deren bestimmende Bühnenpräsenz bei Live-Auftritten einen lebendigen Kontrast markiert – während Hurley singt, ist Iosello die Stimme der Band.

Obwohl musikalisch weit davon entfernt, erinnert die Intensität dieser Konstellation an zwei andere Großstadtneurotiker: Mecca Normal. Dem männlichen Stimmverlust stand auch hier eine Art weiblicher Exaltiertheit gegenüber, der es immer wieder gelang, den stets um Versöhnung bettelnden Indie-Rock-Kontext aufzubrechen und nachhaltig zu verstören.

Ähnlich zartverzettelt aber intensiv scheinen auch Paloma aus Frankreich zu Werke zu gehen. Das Info nennt als Einflüsse immerhin Simon & Garfunkel, Nick Drake und A.R. Kane. Michael Hess

mit Revolva Solo Acoustic Show: Dienstag, 21 Uhr, Knust

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