Gemütlichkeit: Bier unterm Kunstbaum
Der 48-jährige "Fischi" hat es sich in seinem Zimmer im Heim für Wohnungslose gemütlich eingerichtet. Kunstbaum inklusive
Auf dem grauen Linoleumfußboden sind zwei Schaffelle drapiert. Tierposter und Badehandtücher mit Hunden, Pferden und Raubkatzen schmücken die Wände. Auf dem Fensterbrett steht ein kleiner schiefer Kunstweihnachtsbaum mit blinkenden Lämpchen. "Normalerweise habe ich noch mehr Lichterkram", erzählt Fischi, ein 48-jähriger gelernter Pferdewirt mit tätowierten Unterarmen. "Dieses Jahr hab ich keine Lust gehabt. Liegt alles im Schrank".
Fischi ist ein Spitzname aus Kindertagen. Der kräftige Mann mit dem Vokuhila-Haarschnitt, vorne kurz, hinten lang, ist an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. Heute wohnt er im Haus Salva, einem Heim für Wohnungslose in Tiergarten. Fischi ist seit mehreren Jahren hier und hat ein Einzelzimmer. "Mir gefällts", sagt er und nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche. "Andere Buden hier drinne sind total kahl. Da hängt überhaupt nüscht an die Wände." Bis zu drei Mann seien zum Teil in einem Zimmer. "Dat könnte ich nicht. Da stinkts wie Hölle nach Ziegenbock."
Es ist später Vormittag. Draußen schneit es. Fischi sitzt auf dem Bett. Das Zimmer ist rauchvernebelt, im Fernseher läuft gerade Werbung. Gemütlichkeit, dass ist für Fischi gleichbedeutend mit eine Flasche Bier aufmachen, Zigarette anzünden, Fernseher an. Am liebsten die Gerichtsserien, die immer nachmittags laufen. "Wir sagen dazu Bildungsfernsehen. Weil man draus lernen kann, wie bekloppt die anderen sind und wie mans besser macht."
Fischi weiß, wovon er spricht. Immerhin hat er von seinen 48 Lebensjahren 18 Jahre im Knast verbracht. Mit 14 ist er das erste Mal eingefahren. Das war noch in der DDR, "weil ich die Honecker-Flagge angezündet habe. Dafür habe ich gleich zweieinhalb Jahre bekommen." Gesessen habe er auch schon wegen Diebstahl und Körperverletzung. "Und dann war da noch son kleiner Banküberfall auf die Sparkasse am Hansaplatz." 350.000 Mark habe er erbeutet. "Das Geld habe ich versoffen. War im Pfuff. Im Hotel. Aber mein Kumpel, das Arschloch, hat mich verpfiffen. Der Staatsanwalt hat sieben Jahre beantragt. Fünfe und noch was sind rausgekommen."
Nach der letzten Haftentlassung hat Fischi unter der Brücke am Hansaplatz geschlafen. "Da unten, wo die Schiffe anlegen, war ich viereinhalb Jahre. Da hatte ich acht Matrazen, dicke Decken, allet schön übereinander. Und eine Couch und elf Hunde. Die Bullen haben mich in Ruhe gelassen." Ab und zu habe er einem anderen Obdachlosen erlaubt, auch unter der Brücke zu schlafen. "Aber nicht auf Dauer, dann habe ich sie weggejagt. Das war ja mein Revier." Auch Kerzen gab es. "Ich hab mir ein paar von den Grablichtern geholt. Das war auch gemütlich."
Und trotzdem: "Is schon was Schönes, son Dach überm Kopf. Es ist warm", sagt Fischi und blickt sich zufrieden in seinen vier Wänden um. Die Tür geht auf und ein Mann mit schütteren Haaren und einem Tattoo unter dem linken Auge kommt herein. Frank. Er ist vor ein paar Wochen aus dem Knast entlassen worden und wohnt ein Stock tiefer in einem Doppelzimmer. Frank und Fischi kennen sich seit über 20 Jahren. Die meisten Kumpels seien tot, erzählt Fischi. "Totgesoffen." Einer, der Hansa-Peter, sei umgelegt worden. "Wegen 20 Euro und einer Pulle Schnaps".
Weihnachten, sagt Fischi, sei eigentlich ein Tag wie jeder andere. "Aber det Bier jehört dazu." Frank nickt. "Dass de det janze Elend verjisst."
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