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Archiv-Artikel

Gemütlicher Wahnsinn

Andrej Woron inszeniert Kristo Šagors Bühnenfassung von Gustav Meyrinks „Der Golem“ als bunten Bilderbogen

Mehr kann man auf der Bühne des Schauspielhauses kaum unterbringen. Schräge Glaskästen, ein Bett, ein Stuhl, Puppen, eine Badewanne, ein illuminiertes Tarot-Spiel, ein Fahrrad, Wollknäuel, ein tragbarer Bunsenbrenner und eine Gießkanne, damit zum Schluss auch noch Ähren aus dem Lüftungsschacht sprießen können. Andrej Woron, Bühenbildner und Regisseur, hat einmal mehr die Theatertischler auf Trab gehalten und den Fundus geplündert.

Im Grunde passt das zur Vorlage. Denn Gustav Meyrinks 1915 geschriebener Roman „Der Golem“, dessen szenische Fassung Kristo Šagor überraschend respektvoll besorgt hat, zeichnet sich durch eine wuchernde Struktur aus: Wild gemixt taucht, was in Sachen Spiritismus damals hip war, darin auf. Spielort des Opus ist das Prager Getto, Mädchenmörder kommen vor und Hermaphroditen, Taubstumme, Doppelgänger und der rätselhafte Trödler Aaron Wassertrum. Und selbstredend der Golem, eine Lehmfigur, die nach einer jüdischen Legende, bewispert mit einem geheimen Namen Gottes, zum Leben erwacht und wächst, bis sie durch ein schnödes Wortspiel außer Betrieb gesetzt wird.

Anstelle einer Handlung gibt’s gestörte Identitäten: „Ich weiß nur, mein Körper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden“, sagt die namenlose Hauptfigur. Die träumt bei Meyrink hauptsächlich, ein eher ungewisser Athanasius Pernath zu sein – und sogar, auch dessen Träume zu träumen. „Ich sitze auf dem Stuhl“, verdichtet und verschärft Šagor die Ich-Krise „und ich liege im Bett.“

Stopp!, sagt da der gesunde Menschenverstand. Das geht doch gar nicht. Denn was hier ist, kann nicht zugleich dort sein. Die Folge daraus für die Inszenierung: Entweder sie baut Brücken, goldene, und zeigt mit Taschenspielertricks, wie man sich das dann doch vorstellen könnte. Oder aber sie gibt sich ganz dem Zauber einer auf sich selbst zurückgeworfenen Sprache hin, und zwingt das Publikum, die Spannung zwischen Alltagsvernunft und irrem Wachtraum auszuhalten: Ein Affront, in den Bühnenraum geklotzt.

Woron aber scheint ein freundlicher Mensch zu sein: Er illustriert, was gesprochen wird. Seelische Verwundung? Keine Spur. Der ganze Krempel steht auch nicht als wahnwitziges Allerlei auf der Bühne, sondern dient dazu, alle logischen Brüche, auf die es doch angekommen wäre, zu kitten.

Also turnt Martin Baum vom Bett zum Stuhl und vom Stuhl zum Bett. „Ich liege im Bett“, sagt er, aufs weiße Laken hingestreckt. Dann springt er auf, setzt sich hin und spricht: „Und ich sitze auf dem Stuhl.“ Na bitte, es geht ja doch! Und es geht sogar noch einfacher: Die Matratze kann man wenden. Und – siehe da: Auf die Rückseite ist eine lebensgroße Puppe geschnallt, die in etwa so wie Martin Baum aussieht. Jetzt kann der Schauspieler sogar sitzen bleiben. Das ist aber einmal ein gemütlicher Wahn, der sich da als Bilderbogen aufblättert, jahrmarktbunt, gut anzuschauen. Und gut zu vergessen. Benno Schirrmeister

nächste Aufführungen: 4. und 13.11.