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Gemischte Gefühligkeit der Grünen

■ Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Dortmund: Die Partei hat ihre Krise noch nicht überwunden

Knappe Mehrheitsverhältnisse, widersprüchliche Beschlüsse die grünen Delegierten versuchten Strömungspolarisierungen und Streit zu vermeiden. Das zeigte sich auch in der Wahl eines neuen Bundesvorstands, dessen drei SprecherInnen nun Heide Rühle, Renate Damus und Hans-Christian Ströbele heißen.

Die grüne Seele ist unberechenbar. Sie nimmt manches Besondere als normal hin und schlägt dann wieder unerwartete Kapriolen. Fast unwillig gestanden die knapp 600 Delegierten in der Dortmunder Westfalenhalle den Verhandlungsführern für eine rot-grüne Koalition in Niedersachsen magere fünfzehn Minuten zu, um die Ergebnisse zu berichten - als wäre eine grüne Regierungsbeteiligung der Normalfall. Das „Maximale“ herausgeholt zu haben, aber im Verkehrs- und Wirtschaftsbereich auch „schmerzhafte Zugeständnisse“ gemacht zu haben, gestand der künftige Minister Jürgen Trittin ein. Eine Diskussion gab es nicht, nur starken Beifall. Vor fünfzehn Monaten war noch eine rhetorisch wie demagogisch fulminante Rede des Berliners Christan Ströbele nötig, damit die Delegierten den rot-grünen Pakt nicht in der Luft zerrissen. Und hätten sich die hessischen Grünen vor vier Jahren die Rede Trittins erlaubt, sie wären gesteinigt worden.

Manche werteten dies als ermutigendes Zeichen. Wie wenig vorhersehbar der Weg ist, auf dem sich die Partei bewegt, wie knapp die Mehrheitsverhältnisse sind, wie ungefestigt die Partei, offenbarte nicht zuletzt die Wahl des linken Vorstandskandidaten Ströbele. Aber es gab auch andere Beispiele: Trittin durfte ohne Protest mit klug gewählten, sehr vorsichtigen und unverbindlichen Worten versichern, man wolle sich an das Abschalten des maroden Atommeilers in Stade machen. Anschließend wurde beim Resolutionsentwurf zur Klimakatastrophe das Wort vom „schnellstmöglichen Ausstieg“ in das kategorische „sofort“ verschärft. In der Deutschlandpolitik beschloß man die grün-grüne Vereinigung und wenige Minuten später unterlag ein Änderungsantrag, der die Partei auf die Position der Zweistaatlichkeit zurückdrücken wollte, nur knapp.

Gleiches bei der Debatte zur Klimakatatrophe. Die Linken um Jürgen Reents und Jutta Ditfurth übernahmen überraschend das naive Papier der „Arbeitsgemeinschaft ChristInnen in den Grünen“ - anstelle des lagerübergreifenden Resolutionsentwurfes des Bundesvorstands. Mit haarsträubender Logik hatten die ChristInnen darin dem Kapitalismus die Schuld für das Scheitern des Realsozialismus zugeschoben und das sozialistische Ideal gerettet. Das Kapital habe den Ostblock durch die Marktkräfte zum ökologischen Raubbau gezwungen, heißt es dort. Vom furchtbaren Eigenpotential des Stalinismus kein Wort. Gegen den Vorstandssprecher Ralf Fücks (Gruppe „Aufbruch“), der die Vorlage verteidigte, stand das von Ditfurth geschürte Mißtrauen, die reformorientierte Strömung wolle den Antikapitalismus exorzieren. Erst der Einsatz von Ludger Volmer, ein um Ausgleich bemühter Wortführer des „Linken Forums“, konnte die Abstimmungsniederlage der Vorstandsvorlage stoppen - als Garant der sozialen Frage stellte er sich hinter das Vorstandspapier.

Dabei war eine fast unpolitische Atmosphäre kennzeichnend für die Bundesdelegiertenkonferenz. Ein stilles Einverständnis verband die Delegierten, sich fernzuhalten von jeder Spaltungsgefahr - der Versuch der Realos, bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Hagen mittels Ökologiefrage die Linke aus der Partei zu hebeln, war in den Köpfen noch präsent. Die zu Beginn vorgetragene heftige Promi-Schelte des Freiburger Kreisverbandes, der die Krise der Partei auf Machtgeilheit, persönliche Animositäten und fehlende Integrationsfähigkeit zurückführte, bremste die letzte Lust zur Auseinandersetzung. Man suchte die Unverbindlichkeit. So blitzten die Kontroversen nur beiläufig auf, und die Strömungsstrategen dachten sich still ihr Teil. Fast zwangsläufig mußte deshalb der Konflikt bei der Sprecherwahl aufbrechen, als die beiden Kandidaten auch für zwei Konzepte standen.

Vorher hielt die Mehrheit nicht einmal die Diskussion der Rechenschaftsberichte des vorzeitig und zerrüttet aus dem Amt geschiedenen Vorstands für nötig, sie reklamierte Zeitmangel. Die scheidende realpolitische Vorständlerin Ruth Hammerbacher attestierte der Partei eine „politische und personelle Erschöpfung“ und machte strukturelle Probleme für das Scheitern des Vorstands verantwortlich. Die falsch verstandenen Prinzipien der Basisdemokratie und der Ämtertrennung hätten letztlich zu einem „undemokratischen Parteiaufbau“ geführt. Ihre linke Gegenspielerin Verena Krieger, die ebenfalls nicht mehr antrat, kritisierte die „rasante politische Anpassung“, die die Existenz der Partei gefährde, weil kein Bedarf an „grauen“ Grünen bestünde. Vorstandsmitglied Ralf Fücks äußerte sich selbstkritisch zum gemeinsamen Vorgehen von Realos und „Aufbruch“ gegen die Fundis in Hagen, wertete den damaligen Eklat aber zugleich als Signal für eine Wende zur Gemeinsamkeit. Fücks sprach gar von einem „produktiven Jahr“, weil die Partei trotz überwältigender Herausforderungen durch die deutsch-deutsche Vereinigung erstaunlich schnell den Anschluß an die Entwicklung gefunden hätte.

Auch bei der Wahl der beiden Vorstandssprecherinnen, für die sich doch noch vier Kandidatinnen fanden, herrschte kein Diskussionsbedarf, es ging um Ausgleich. Die überwältigende Zustimmung zur gemäßigten Reala Heide Rühle aus Baden -Württemberg basierte vor allem auf ihrem Eintreten für die Anti-Spaltungs-Initiative und deren Wunsch nach Erhalt des Strömungspluralismus. Als zweite wurde, trotz ihrer konfusen Vorlesung, die niedersächsischen Professorin Renate Damus gewählt, vormalige Schriftführerin im Bundesvorstand. Ohne Chancen blieben die Radikalökologinnen Andrea Schmidt und Manon Tuckfeld: zu polarisierend.

Bei der Sprecherwahl fiel die Entscheidung über den Kurs der Partei, auch wenn die meisten das nicht als Richtungswahl verstanden wissen wollten. Der kurzfristig als Kandidat der Linken angetretene Berliner Christian Ströbele, der vertreten hatte, Grün sei mehr als die Ökologiefrage, siegte überraschend bereits im ersten Wahlgang gegen den noch mal angetretenen Ralf Fücks. Vorher hatte er den Delegierten unter Beifall klargemacht, daß man auch Schluß machen muß mit Koalitionen, „wenn nicht mehr dabei herauskommt“. Wenn die SPD in Berlin dies nicht begreife, dann gehe der rot-grüne „Wanderpokal nach Niedersachsen“. Da war Trittin längst wieder in Hannover.

Gerd Nowakowski

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