: Geldhaufen machen auch nicht glücklich
Hans Graf von der Goltz schildert in „Anderland“ das unglückliche Bewusstsein eines scheiternden Wirtschaftsführers. Neue Managementmoden reifen darin die Erkenntnis, dass es gut ist, im Postmaterialismus anzukommen
Hier schreibt der Chef noch persönlich. Hans Graf von der Goltz ist ein Mann, der einem humanistischen Wunschtraum entsprungen zu sein scheint. Als Industriemanager hat er eine glanzvolle Karriere hingelegt, unter anderem war er der Testamentsvollstrecker des Industriemagnaten Herbert Quandt und Aufsichtsratsvorsitzender von BMW. Daneben widmete er sich, wie der „Munzinger“ das ausdrückt, seinen „musischen Neigungen“ und schrieb seit den frühen 90er-Jahren mehrere Romane. Neben der Tatsache, dass unsereins in der Goltzstraße wohnt (aber das gehört eigentlich nicht hierher), mag diese industriell-literarische Doppelkarriere einiges zum Griff nach diesem Buch beigetragen haben. Ein gestandener Wirtschaftskapitän, der einen aktuellen Wirtschaftsroman schreibt – das gibt es schließlich nicht alle Tage.
Um es allerdings, ach, gleich vorweg zu sagen: Das Buch erfüllt nicht alle Erwartungen. Gleich auf Seite 7 lässt Kurt Anderland, die Hauptfigur, „seinen Blick über den Körper des Mädchens streichen“. Solche Klischeeformulierungen finden sich häufig. Überhaupt: Ob es eine gute Idee war, den 60-jährigen Anderland bei seiner Affäre mit der 30-jährigen Valerie mit einer so dürftigen literarischen Phantasie auszustatten, mag der Autor selbst vor den Göttern der Literatur verantworten.
Beim Lesen keimt also früh die Idee, was hier das zentrale Problem sein könnte: Das Buch enthält Motive eines soliden Trivialromans, neben der Affäre noch Intrigen in der Chefetage, Patentverbrechen rund um Nanotechnologie etc., darf aber kein wirklicher Trivialroman sein; da ist die literarische Ambition des Autors vor – vielleicht war er auch schlicht zu faul, für einen ausgewachsenen Trivialschmöker hätte er mehr recherchieren müssen. Auf der anderen Seite führte diese Ambition aber nicht zu dem Ehrgeiz, die Figuren plastisch herauszuarbeiten. Der Autor, das merkt man, ist jemand, der sich nicht mehr beweisen muss.
Sobald man das Buch aber jenseits literarischer Wertungen liest, wird es interessant. Es enthält eine Studie über ein unglückliches paternalistisches Bewusstsein, dem es angesichts von Globalisierung und neuen Mangementmoden (Firmenzerschlagung!) nicht mehr gelingt, seine Hand schützend über seine Mitarbeiter zu halten. An einer Stelle macht sich Anderland Gedanken über Menschen, in deren Köpfen „alle Phänomene dieser Welt zu einem mehr oder weniger großen Haufen von Geldscheinen“ geworden sind. Er sieht den von ihm vertretenen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz beschädigt, muss sich nach Fehlschlägen neu verorten und findet sich am Schluss als Aussteiger in einer Dreizimmerwohnung in Prenzlauer Berg wieder.
Man kann das Buch auch gut als Projektanzeige für ein Verjüngungsprogramm lesen: zwar als Geschäftsführer gescheitert, aber immerhin sich selbst nicht verloren und am Ende gar bei den postmaterialistischen Überlegungen der Attac-Generation angekommen. Und eine wirklich lustige Stelle gibt es auch noch: „Ein schönes Leben, Valerie? Verdammt noch mal, dafür bin ich nicht alt genug.“ Ist doch tröstlich, einmal aus erster Hand zu erfahren, dass Manager nicht nur Geldverdienen im Kopf haben! DIRK KNIPPHALS
Hans Graf von der Goltz: „Anderland“. Berlin Verlag, Berlin 2004, 212 Seiten, 19 €