■ Bayerns Innenminister Beckstein fordert die EU-weite quotierte Flüchtlingsverteilung und offenbart so das Dilemma der Asylpolitik: Geld verteilen statt Menschen
Als der bayerische Innenminister Günther Beckstein kürzlich die quotierte Verteilung von Flüchtlingen aus Deutschland auf die EU-Mitgliedsländer forderte, fand dieser Vorschlag auch in der taz Zustimmung. Auf den ersten Blick hat dieser Vorschlag etwas Bestechendes. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, daß es sich dabei um eine weitere Strategie zur Abwehr von Flüchtlingen handelt.
Die Idee einer Verteilung der Lasten, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden sind, ist nicht neu. Bereits im Mai 1996 hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Asylrechtsänderung formuliert: Mit der Drittstaatenregelung für Asylbewerber sei „eine Grundlage geschaffen, um eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den beteiligten Staaten zu erreichen“. Der Gesetzgeber hat mehr versprochen, als er halten konnte.
Innerhalb der EU-Gremien werden darüber hinaus schon seit längerem zwei sogenannte Gemeinsame Maßnahmen für eine Politik eines „vorübergehenden Schutzes von Vertriebenen“ einerseits und einer „Lastenverteilung bei der Aufnahme von Vertriebenen“ andererseits beraten. Beide Anliegen haben ihren Ausgangspunkt in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und wollen eine Antwort auf zukünftige Massenfluchtsituationen geben.
Die Bundesregierung vertritt in diesen Beratungen die Position, daß beide Maßnahmen zusammengehören, der „vorübergehende Schutz von Vertriebenen“ nicht ohne Vereinbarungen über eine Lastenverteilung verabschiedet werden sollte. Einige EU-Staaten dagegen wollen einer Lastenverteilung auf keinen Fall zustimmen, würden aber Bemühungen im Bereich des „vorübergehenden Schutzes von Vertriebenen“ unterstützen oder zumindest nicht blockieren. Die Initiative Bayerns für eine Bundesratsentschließung vom 14. Mai fordert nun, die „Verteilung der Belastungen“ über eine europaweite Quotenregelung für Asylsuchende herzustellen, die sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten orientieren soll.
Es stellt sich also die Frage, ob in den Vorschlägen zu Verteilungsregelungen in der EU ein flüchtlingspolitischer Fortschritt steckt. Immerhin räumt die CDU/CSU mit ihren Vorschlägen erstmalig ein, daß das Boot der EU nicht voll sei, sondern lediglich das Zwischendeck Deutschland. Becksteins Vorschlag beinhaltet insofern Überraschendes, als die bayerische Staatsregierung die bereits bestehenden Zuständigkeitsregelungen für Asylsuchende innerhalb der EU, die sich aus dem Dubliner Abkommen ergeben, verändern oder gar ersetzen will. Warum die seit Jahren als wichtig propagierten Regelungen des Dubliner Abkommens, die die Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens festlegen, nicht mehr ausreichen sollen, wird in dem Antrag nicht erklärt. Ebenso geht der bayerische Vorstoß mit keiner Silbe auf die laufenden Diskussionen auf der Ebene der EU ein.
Man könnte Beckstein natürlich darin recht geben, daß es an einer breiten Diskussion über die Notwendigkeit einer quotierten Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedstaaten fehlt, die die zunehmende Vergemeinschaftung des Asylrechts in der EU berücksichtigt. Warum das so ist, wird deutlich, wenn man sich die Interessen der Akteure, die jetzt Veränderungen anmahnen, vergegenwärtigt. Beckstein & Co. gehören nicht zu denen, die bisher den Gedanken des Flüchtlingsschutzes hochgehalten haben. Sie zeigten sich nur dann bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn diese nicht auf einen anderen Staat verwiesen werden konnten. Deutschland votiert in den Beratungen der EU- Gremien zur Flüchtlingspolitik folgerichtig für eine EU-weite Verteilung zumindest von Bürgerkriegsflüchtlingen. Andere Mitgliedstaaten sind über diesen Vorschlag nicht gerade begeistert und haben vor allem ein Interesse an der Einführung des „vorübergehenden Schutzes für Vertriebene“. Die innerdeutsche Diskussion über den Umgang mit bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen wiederholt sich nun auf europäischer Ebene: Man kann sich eher auf Einschränkungen der Rechtspositionen von Flüchtlingen einigen denn auf einen Lastenausgleich zwischen den Ländern. Warum sollte jetzt gelingen, was bereits auf nationaler Ebene fehlgeschlagen ist?
Die Regierungsvertreter Frankreichs und Großbritanniens kontern die Anwürfe Deutschlands, sie müßten mehr Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufnehmen, trocken damit, daß sie ihrerseits Truppen und erhebliche militärische Mittel zur Beendigung der dortigen kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt hätten. Da wirkt Seidel-Pielens Hoffnung, „der niederländische, schwedische und deutsche Standard“ möge „zur gemeinsamen europäischen Norm“ werden (taz vom 9.8.), etwas schlicht, oder soll man sagen: etwas deutsch?
Wenn man eine Lastenteilung will, muß es dann ausgerechnet eine Quotierung sein? Es ließen sich auch andere Wege finden, das Problem einer unterschiedlichen Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten der EU zu regeln. Lösungen, die die Bedürfnisse der Flüchtlinge berücksichtigen (Nähe zu Familienmitgliedern, Sprachkenntnisse, Freizügigkeit) und sich nicht ausschließlich an den Befindlichkeiten der Bundesbürger orientieren.
Hinter der Vorstellung, Flüchtlinge in einem gemeinsamen politischen Raum dauerhaft „verteilen“ zu können, steckt eine Haltung, die Bürgerkriegsflüchtlinge in erster Linie als Belastung begreift. Möchte man den Betroffenen hingegen Entfaltungsmöglichkeiten und ein gutes Leben an ihrem gewählten Zufluchtsort ermöglichen, wäre ein EU-Flüchtlingsfonds einer Quotierung vorzuziehen. „Geld verteilen statt Menschen“, könnte also die alternative Forderung lauten, der sich viele Flüchtlingsorganisationen anschließen könnten. Damit würde sowohl den Bedürfnissen von Flüchtlingen Rechnung getragen als auch am Wohnort- und Zufluchtsortprinzip festgehalten. Die geplante Politik, Schutz zu gewähren, würde gegenüber den Ländern oder Regionen finanziell sanktioniert, die dieses Ziel durch die Aufnahme von Flüchtlingen verwirklichen.
Beckstein gesteht mit seiner Initiative die innen- und außenpolitische Konzeptionslosigkeit und Inkonsistenz in der deutschen Asylpolitik ein, für die diese Bundesregierung politisch verantwortlich zeichnet. Michael Maier-Borst
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