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Geister der Geschichte

Besessen von Bildern aus der Vergangenheit: die Essayfilme History & Memory und Empty Centre  ■ Von Tobias Nagl

Besessen von einem Bild aus der Vergangenheit ist der Protagonist in Chris Markers virtuosem stream-of-consciousness-Essay La Jetée. Je mehr er in einem Taumel des Erinnerns hineingezogen wird, desto unausweichlicher zieht sich sein Schicksal wie eine Schlinge – gleich dem notorischen Zoom in Hitchcocks Vertigo – zu: Das Bild, das er zu verstehen sucht, ist das Bild seines ihm noch bevorstehenden Todes.

Auch die Protagonistin des autobiografischen History & Memory von Rea Tajiri ist besessen von einem Bild aus der Vergangenheit. Das einer jungen japanischen Frau nämlich, die in der Wüste kniet und mit einer Feldflasche Wasser aufzufangen sucht. Doch wo Marker von einer ganz ursprünglichen Sehnsucht nach Kino, nach bewegten Bildern, spricht, ähnelt Tajiris Film der klassischeren psychoanalytischen Nachzeitigkeit beim Durcharbeiten eines Traumas. Und das ist, wovon History & Memory zunächst einmal als konkretem Trauma erzählt: die Internierung von 110.000 japanischstämmigen Amerikanern als „enemy aliens“ nach dem Angriff auf Pearl Harbour.

Vor diesem Hintergrund legt Tajiris Filmessay nahe, daß es sich bei diesem geisterhaft wiederkehrenden Traum-Bild einer Frau in der Wüste um die internierte Mutter der 1958 geborenen Regisseurin handeln könnte, die unfähig oder unwillig ist, auf die Fragen ihrer Tochter nach der Vergangenheit zu antworten. Genausogut könnte es sich aber um das handeln, was man im Englischen als „Screen memory“ bezeichnet: ein Erinnerungssurrogat, das eine durch Verdrängung geschaffene Leerstelle überdeckt.

Geschichte sei das, was schmerzt, hat der marxistische Literaturtheoretiker Fredric Jameson einmal geschrieben, und deshalb lasse sie sich als solche gar nicht darstellen. Die Auseinandersetzung mit diesem einen monadisch-fragmenthaften Bild wird so für Tajiri zum Ausgangspunkt, die immer nur in ihren schmerzhaften Auswirkungen präsente Geschichte erzählbar zu machen, im Autobiographischen das Historische freizulegen, History als Story umzuschreiben. Dabei gibt es schon genug Geschichten, die Geschichte erzählen. Die Geschichte dieser Geschichten ist aber eine der Auslassungen. So brechen in Tajiris historische Nachforschungen über die „Japanese Relocation“, den Diebstahl des Hauses der Familie, Reflexionen über Fotos und Alltagsgegenstände immer wieder die Geister der Traumfabrik Hollywood als „Screen memories“ ganz anderer Art ein: sei es als Propaganda des Office of War Information oder Wochenschaumaterial, Ausschnitte aus From Here To Eternity, oder in der verzweifelten Suche Spencer Tracys nach seinem verschwundenen japanischen Freund in Bad Day At Black Rock, die bald zur Metapher von Tajiris eigener Arbeit wird.

„Dinge sind auf der Welt geschehen, für die wir Bilder haben“, resümiert Tajiri ihre Kinematografie der Erinnerung. „Andere sind geschehen, ohne daß eine Kamera sie gesehen hat.“ Die einzige Sprache, für diese anderen Dinge Bilder zu schaffen, ist für Tajiri die Montage von Fragmenten, deren Brüchigkeit sowohl die Ambivalenz „wahrer Bilder“ wie die Konstruiertheit von Geschichte offenlegt.

Hito Steyerls Empty Centre ist um eine ganz ähnliche Rekonstruktion von Geschichte bemüht, indem sie Schicht für Schicht die architektonische Physiognomie der neuen Hauptstadt abträgt, um in der steinernen Fassade des Potsdamer Platzes wie in einem Gesicht lesen zu können – und die Fratzen eines jahrhundertealten deutschen Rassismus entdeckt.

Ihre urbanistische Studie der kulturellen und staatlichen Grenzziehungen und der Ausschlüsse konfrontiert Interviews mit den Besetzern des Todesstreifens nach dem Mauerfall und chinesischen Architekturstudenten mit der Familiengeschichte des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, exotistische Momente aus dem Kino der Weimarer Republik mit der Geschichte der indischen Freiwilligen-Legion in der Waffen-SS. Zum Kronzeugen wird ihr dabei Siegfried Kracauer, dessen Essays nicht nur Steyerls Untersuchung begleiten, sondern mit dem sie auch die Hoffnung auf „Löcher in der Mauer“ teilt, durch die sich das „Unwahrscheinliche“ einschleichen kann.

„Who chose what story to tell“, formulierte Rea Tajiri als zentrale Frage an den historischen Essayfilm. Hito Steyerl hat gegen die Versuche, die deutsche Geschichte auf eine „Berliner Republik“ hin teleologisch zu vereindeutigen, eine wichtige wie aufschlußreiche Version einer anderen Geschichts- und Geschichten-Schreibung vorgelegt. Doch auch diese kann immer nur eine der Geister der Toten sein.

Do, 10. Dezember, 21.15 Uhr, Metropolis. Einführung: Thomas Tode

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