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Geiselnahme im Knast

■ Schottische Häftlinge protestieren gegen brutale Behandlung Noch keine Untersuchung der Zustände geplant

London (taz) - Vom Dach ihrer Knäste drohende und fluchende Häftlinge, gehören in Großbritannien mittlerweile zur monatlichen Fernsehkost. Zum dritten Mal in den letzten drei Monaten waren es am Montag schottische Häftlinge, die ihrem Unmut über brutale Behandlung und die Überbelegung ihrer Zellen gewaltsamen Ausdruck gaben. Nachdem bei den Ausschreitungen in Schottlands größten Knast von Barlinnie bereits am Montag 34 Aufseher verletzt worden waren, gelang es den Häftlingen am Dienstag, drei Wärter als Geiseln zu nehmen. Ein weiteres Dutzend „Screws“, wie die Aufseher in der Knastsprache heißen, konnten sich gerade noch in den Zellen verbarrikadieren. Die rund 25 aufständischen Häftlinge beschuldigten die Gefängnisbehörden der Brutalität und Folter. Während sie die verhandlungswilligen Vertreter der Gefängnisbehörde vom Dach aus mit Wurfgeschossen bombardierten, forderten sie einen Zeitungsreporter auf, in den Knast zu kommen und ihre Beschwerden zu notieren. Zeitungsberichte hatten bereits bei den Unruhen in den Hochsicherheits–Gefängnissen von Peterhead und Edingburgh im vergangenen November zum Einsatz offizieller Untersuchungskomissionen geführt. Eine Untersuchung der Zustände in der Glasgower Haftanstalt von Barlinnie, so beeilte sich das Schottlandministerium jedoch mitzuteilen, sei nicht notwendig. Die erneute Revolte kommt für die in der Knastarbeit Tätigen nicht überraschend. Selbst das mit 360 Mio. Pfund größte Knastbau– Programm seit viktorianischen Zeiten durch die Regierung Thatcher, dürfte die katastrophale Situation in den Haftanstalten nur unwesentlich ändern. Denn die britische Justiz locht mit 345 auf 100.000 Einwohner mehr Bürger ein als die Türkei und doppelt soviele wie die BRD. Ein Viertel der Insassen sitzt wegen nicht gezahlter Geldstrafen und mischt sich in Knästen wie in dem mit 42 Häftlingen. Die beispielhafte Rehabilitations–Abteilung der Anstalt für Schwerverbrecher, hat dagegen ganze sechs Inhaftierte. Sie ist damit nicht mehr als ein Symbol für sämtliche in den letzten 15 Jahren am hartnäckigen Widerstand der konservativen law & order–Lobby gescheiterten Reformversuche des britischen Gefängnissystems. Rolf Paasch

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