piwik no script img

Geiles Blutgeplansche

■ „Thronbesteigung“ vom Caracol Theater im Ballhaus Naunynstraße

Echt gräßlich. Eine Schüssel voll roter Farbe. Blutgemansche. Ein feiger Waschlappen war dagegen Lady Macbeth, die sich panisch das Blut des abgeschlachteten Königs abwusch, statt sich wie die Darstellerin mit dem Künstlernamen Medusa drin zu suhlen - noch dazu im weißen Strickanzug (wer soll das bloß waschen?). Die Frau, ein Tier. Reißt ihrer Puppe die Beine aus. Erbarmungslos. Erzählt von ihrer Mordlust lachend. Das schockt. Tanzt stampfend, wie nach dem zweiten Kursus in Selbstverteidigung. Wie sie sich geil in den Hüften schaukelt und nach der Motorsäge greift; wie sie die Zähne bleckt im zur Maske gefrorenen Schrei. Wie sie die Säge über den Kopf hochreißt. Den Motor anwirft. (Niemand entkommt aus dem Theatersaal.) Das Sägeblatt schnurrt. Und sie zersägt, ohne mit der Wimper zu zucken, einen Stuhl. Uuuuaaaah!

Neben dem Mord an dem Stuhl spielt noch der an einer Küchenschabe eine Rolle in der Performance Thronbesteigung. Für die Textcollage von Medusas Monolog, unterbrochen von Erzählungen aus dem Off über die unheilverkündende Gegenwart der Schabe, griff die Regisseurin Antonia von Fürstenberg auf einen Roman der brasilianischen Autorin Clarice Lispector zurück: Lispector beschreibt die Tötung und Verspeisung einer Schabe als Auslöser einer existentiellen Krise, die die Ungezieferkillerin zum Ausbruch aus der zivilisierten Welt, zum Bekenntnis ihrer Gier und zur Erhebung über die moralischen Gesetze veranlaßt. Die Heldin versucht, sich in den archaischen und von keinen Regeln außer dem Erhalt der eigenen Existenz gebundenen Wahrnehmungszustand des Urviehs Schabe zurückzuverwandeln.

Doch Antonia von Fürstenbergs Bemühungen, die unsagbaren Erfahrungen, die die namenlose Frau bei der Durchquerung ihrer inneren Hölle erleidet, sinnlich wahrnehmbar zu gestalten, verenden in tapsigen Illustrationen. Der überanstrengten Darstellerin Medusa fehlt die Präzision körperlichen Ausdrucks, um den sie sich mit wild zusammengeklaubten Anleihen von Barraults vielgestaltigem Jekyll/Hyde über die Rocky-Horror-Picture-Show bis zu asiatischem Schattenboxen bemüht. Ihre Identifikation mit der Figur, die über ihre eigene Grausamkeit zunächst erschrickt und dann triumphiert, mißlingt Medusa, weil ihr jegliche Distanz fehlt. Zu sehr schimmert das Verlangen der Darstellerin durch, das eigene Subjekt im Spiegel der Rolle zu vergrößern.

Katrin Bettina Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen