: Geheimdiplomatie zwischen Genf und Ankara
■ Izetbegović macht einen Kompromißvorschlag für den Adriazugang
Das jetzt vorliegende Ergebnis der inzwischen über einjährigen Bosnien-Konferenz war schon seit geraumer Zeit absehbar. Trotzdem kam die Genfer Erklärung am Donnerstag für die meisten Beobachter als echte Überraschung. Zwar hatte Bosniens Präsident Izetbegović schon Anfang August angedeutet, er könne letzten Ende gezwungen sein, die völlige Auflösung Bosnien-Herzegowinas zu akzeptieren, doch mit Abbruch der Verhandlungen am 1. September schien klar, daß die Muslime zu einer solchen Unterschrift nicht bereit sind. Daß er die Teilung Bosniens jetzt doch akzeptiert, ist das Ergebnis intensiver Gespräche und diplomatischer Aktivitäten hinter den Kulissen, die zumeist nicht in Genf stattfanden.
Anfang September scheiterten die Verhandlungen, weil Serben und Kroaten nicht bereit waren, dem bosnischen Präsidenten wenigstens die Minimalforderungen für eine einigermaßen überlebensfähige bosnisch-muslimische Teilrepublik zu erfüllen: einen Landzugang zum Adriaküstenort Neum sowie ein wenig mehr Territorium in ost-und in nordwestbosnischen Regionen, in denen vor Kriegsbeginn am 6. April 92 überwiegend Muslime gelebt hatten.
Am 1. September hatte Izetbegović die Erfüllung dieser Forderungen noch zur „Vorbedingung“ für seine Unterschrift unter ein Bosnienabkommen gemacht. Öffentliche Stellungnahmen der Regierungen in Washington, Bonn und in anderen westlichen Hauptstädten vermittelten den Eindruck von Unterstützung für diese Vorbedingungen. Bundesaußenminister Kinkel äußerte „Verständnis“ für die Bedenken des bosnischen Präsidenten und für seine Forderungen. „Doch“, – so ein enger Mitarbeiter von Izetbegović am Donnerstag gegenüber der taz, „bei seinen Gesprächen mit US- Präsident Clinton und im UNO-Sicherheitsrat in New York wurde Izetbegović Anfang letzter Woche deutlich, daß diese Unterstützung nicht existiert und seine Forderungen ohne Chance sind“.
In Kontakten mit der kroatischen Seite, die im wesentlichen über die türkische Regierung liefen, wurde daraufhin das Genfer Treffen zwischen Izetbegović und Kroatiens Präsident Tudjman am Dienstag dieser Woche vorbereitet. Es fand nicht im UNO-Palast statt, sondern in einem Genfer Hotel und wurde von allen Beteiligten stets als „informell“ bezeichnet. Wichtigstes Ergebnis des vierstündigen Treffens, an dem an der Seite Tudjmans der kroatische Botschafter in Ankara teilnahm, war weniger die Vereinbarung eines Waffenstillstandes, sowie der Freilassung aller zivilen und militärischen Gefangenen, sondern die Einrichtung von zwei bilateralen Arbeitsgruppen. Diese sollen „zwischenstaatliche Vereinbarungen“ über den Adriazugang erarbeiten, sowie die Nutzung des Hafens Ploce und diverser Elektrizitätswerke regeln. Außerdem sollen die Bedingungen für die Rückführung aller bosnischen Flüchtlinge aus Kroatien festgelegt werden. Tudjman – wegen der wirtschaftlich katastrophalen Lage im eigenen Land zunehmend unter Druck – hofft, durch diese Vereinbarung mit Izetbegović auch von den Finanzhilfen zu profitieren, für die der bosnische Präsident in den letzten Wochen Zusagen in zahlreichen Hauptstädten islamischer Staaten bekam. Diese Zusagen sind offenbar so umfangreich, daß Izetbegović Tudjman am Dienstag einen höchst kostspieligen Kompromißvorschlag für die Frage des Adriazugangs vorlegen konnte: Nach diesem noch geheimen Vorschlag wollen die Muslime einen mehreren Kilometer langen Ost- West-Tunnel durch die künftige bosnisch-kroatische Teilrepublik bis zum Küstenort Neum bauen. Damit würde vermieden, daß die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Küstenstraße und Eisenbahnlinie sowie andere wichtige Verkehrsverbindungen der Kroaten unterbrochen würden. Vorausgesetzt, daß der westherzegowinische Kroatenchef Boban mitspielt, dürfte dieser Vorschlag die „Lösung“ des Adriazugangs-Problems bringen.
Noch klandestiner als die Begegnung Tudjman-Izetbegović wurde das Treffen des bosnischen Präsidenten mit dem Vorsitzenden des selbsternannten bosnisch-serbsichen Parlaments, Krajisnik eingefädelt. Owen und Stoltenberg, die sich am Mittwoch angeblich auf einer Reise in die mazedonische Hauptstadt Skopje befanden, unterbrachen ihren Flug in Montenegro. Dort luden sie Krajisnik – der die Vollmacht des mit der Meuterei einiger Offiziere in Banja Luka befaßten bosnischen Serbenführers Karadžić hatte – ins Flugzeug und kehrten nach Genf zurück.
Noch am Abend, kurz vor Mitternacht, trafen die drei im UNO- Palast zu einer über zweistündigen Sitzung mit Izetbegović und Außenminister Silajdzić zusammen, die sich nach offiziellen Angaben ihrer Delegation angeblich schon längst auf dem Rückflug nach Sarajevo befanden. Am Donnerstagmorgen wurde das Treffen fortgesetzt.
Erst über eine Stunde, nachdem Izetbegović und Silajdzić den UNO-Palast längst ohne jeden Kommentar in Richtung Flughafen verlassen hatten, wurde bekanntgegeben, daß Izetbegoviz einem Referendum über einen Anschluß der serbischen Gebiete an Belgrad zugestimmt hatte.
Andreas Zumach, Genf
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