: Gegenwind für UNO-Flüchtlingshilfe
Tagung zur Repatriierung von Flüchtlingen / Neuer UNHCR-Chef muß sich gegen die Interessen der reichen Staaten durchsetzen / Aus- und Übersiedler aus Osteuropa dienen zur Abschottung gegen Asylbewerber / Öffentlichkeitsarbeit als Gegengewicht zum Politdruck ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) - Kaum hat Thorvald Stoltenberg sein Amt als neuer Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) angetreten, in das ihn UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar nach dem unrühmlichen Abgang des Schweizers Jean -Pierre Hocke berufen hatte, steht er bereits vor einer ersten schweren Bewährungsprobe. In Genf tagt seit Dienstag der für die Frage der Repatriierung von Flüchtlingen zuständige Ausschuß der UNO-Behörde.
Angereist sind einige der 51 vietnamesischen Boat people, die nach einer entsprechenden Weisung der britischen Regierung kürzlich gewaltsam aus ihrem Fluchtdomizil Hongkong ausgeschafft wurden. In Genf wollen sie sich dafür einsetzen, daß diese Praxis künftig nicht zur - vom UNHCR geduldeten - Regel wird.
Nicht zuletzt die Vereinigten Staaten, die die Hongkong -Aktion Londons noch kritisiert hatten, drängen hinter den Kulissen darauf, die bislang weite UNHCR-Definition einer „gewaltsamen“ Rückführung von Flüchtlingen enger zu fassen. Das Ergebnis der Beratungen wird ein erster Maßstab sein für die hohen Ansprüche, die Stoltenberg letzte Woche in Genf bei seinem Amtsantritt verkündete. Das Problem von weltweit über 15 Millionen Flüchtlingen sei „mit Mitteln der Caritas nicht zu lösen„; er wolle es „auf die politische Tagesordnung“ vor allem der Großmächte USA und UdSSR bringen, erklärte der ehemalige norwegische Außenminister und UNO-Botschafter seines Landes, der nach eigenen Angaben „entfernt verwandt“ mit dem bundesdeutschen Verteidigungsminister ist.
„Die nächste Revolution“ betonte er unter Anspielung auf die jüngsten Umwälzungen in Osteuropa, werde „eine Revolution der Armen“ sein. Zwar äußerte er die Hoffnung, daß die Entspannung zwischen Ost und West neue Möglichkeiten zur Überwindung von Problemen im Süden dieser Welt und damit auch der wesentlichen Ursachen von Flüchtlingsbewegungen eröffnet. Doch kann auch er nicht übersehen, daß die Entwicklung - zumindest mittelfristig - erst einmal in die entgegengesetzte Richtung geht: urprünglich für die „Dritte Welt“ bestimmte Ressourcen werden nach Osteuropa umgeleitet; westeuropäische Staaten, allen voran die Bundesrepublik, begründen mit den nicht unter die Flüchtlingsdefinition des UNHCR fallenden Aus- und Übersiedlern aus Osteuropa zunehmend ihre Abschottung gegen Asylbewerber aus der Dritten Welt.
Stoltenberg ist noch längst nicht in einer ausreichend starken Position, um gegen diese Entwicklung auch öffentlich Stellung zu nehmen. Denn das Gros seiner Haushaltsmittel kommt - in dieser Reihenfolge - aus den Vereinigten Staaten, Skandinavien, Japan und den EG-Staaten. Die von ihm ursprünglich zur Vorbedingung für die Übernahme des Genfer Schleudersitzes gemachte Deckung des von Vorgänger Hocke hinterlassenen 60-Millionen-Dollar-Defizits mußte Stoltenberg wieder fallenlassen. Von Etaterhöhungen, die dringend erforderlich sind, damit mehr als derzeit nur sieben Millionen Flüchtlinge vom UNHCR betreut und versorgt werden können, ist derzeit schon gar nicht die Rede.
Um das Vertrauen in seine Behörde wiederherzustellen, ihr wieder stärkeres politisches Gewicht und damit langfristig auch eine bessere finanzielle Ausstattung zu sichern, muß Stoltenberg sich darauf konzentrieren, was der Schweizer Beamte Hocke sträflich vernachlässigt, ja verhindert hat: die intensive Zusammenarbeit mit privaten Flüchtlingshilfeorganisationen und Pressure Groups, aktive Öffentlichkeitsarbeit sowie einen kooperativen Arbeitsstil innerhalb des 2.000 Personen starken UNHCR-Apparates. Bei seinen ersten öffentlichen Auftritten erweckte der norwegische Politprofi den Eindruck, als habe er das verstanden.
Andreas Zumach
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