ausstellung : Gegenwelt für die Habenichste
Fritz Grasshoff? Das ist doch der mit der „Halunkenpostille“? Ältere taz-Leser werden sich vielleicht noch an die Sammlung bissiger Gedichte erinnern, die in den 50er und 60er Jahren hohe Auflagen erreichte. Noch heute greifen Sänger für ihr Programm gerne auf die Lieder zurück, in denen der Poet den Außenseitern der Gesellschaft, den kleinen Halunken, den Matrosen und Artisten, Bettlern, den unangepassten Lebenskünstlern ein liebevoll-freches Denkmal setzte. Ganz nebenbei las er auch der Wirtschaftswunder-Gesellschaft die Leviten und verdiente sein Geld mit Schlagertexten wie „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“.
Aber Fritz Grasshoff, der Maler und Zeichner? Als Illustrator nicht nur der eigenen Werke ist er durchaus geläufig. Er bebilderte unter anderem Erzählungen aus der griechischen Mythologie. Aber sein „freies“ bildnerisches Werk ist hierzulande eine große Unbekannte. Diese Wissenslücke schließen kann man jetzt in passender Umgebung bei einem Besuch im „Gulliver“, der Überlebensstation für Obdachlose unter dem Kölner Hauptbahnhof. Elvira Reith, die dort das Ausstellungsprogramm betreut, erhielt über den Kölner Kunstkritiker Jürgen Kisters Kontakt zu Grasshoffs Witwe in Kanada, wohin der Künstler 1980 – angewidert von der der deutschen Politik – ausgewandert war und wo er 1997 im Alter von 87 Jahren starb. Knapp zwei Dutzend Zeichnungen und Grafiken sind zu sehen, sie entstanden überwiegend in den 50er und 90er Jahren.
Grasshoffs Arbeiten sind geprägt vom leichten, beschwingt-ornamentalen Strich der Nierentisch-Ära. Dabei zeigt er sich experimentierfreudig, arbeitet mit Abreibungen und Spritztechniken, variiert Monotypien, zitiert Picasso. Wie in seinen lyrischen Arbeiten sind auch hier die Außenseiter sein Thema. Er zeichnet kleine Idyllen, eine Welt, in der Mensch und Tier friedlich zusammenleben, unbeschwert von den Tücken des Alltags und den Gesetzen der Schwerkraft schweben sie im Raum. Es sind auch Gegenwelten zu den Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs, den er von Anfang bis Ende an der Front erlebt hatte. Diese Erfahrungen hat er nie überwunden, sie machten ihn zum Pazifisten.
Von der Ausstellung soll das Gulliver übrigens auch profan profitieren: Die Arbeiten können wohlfeil gekauft werden (für 200 bis 800 Euro), 20 Prozent des Erlöses gehen an die Obdachlosenstation. JÜRGEN SCHÖN
„Zuerst war ich ein Kieselstein: Zeichnungen und Grafiken von Fritz Grasshoff“: Überlebensstation Gulliver, Trankgasse 20, bis 30.8., Mo-Fr 6-13 und 15-22 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr