: Gegen den „Morast des Verfalls“
Ein ranghoher ägyptischer Scheich wettert gegen die UN-Frauenkonferenz in Peking: Der im Abschlußbericht propagierte Lebensstil zerstöre die traditionellen Werte ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Nicht nur der Vatikan in Rom betrachtet die Vorbereitungen für die UN-Frauenkonferenz in Peking mit Argwohn. Nun hat auch der oberste Scheich der Kairoer Azhar-Universität in einer Erklärung das Arbeitspapier der Pekinger Konferenz, die am 4. September offiziell eröffnet wird, scharf angegriffen.
Scheich Gad al-Haq Ali Gad al- Haq ist nicht irgendwer. Als Vorsteher der bedeutendsten theologischen Hochschule der islamischen Welt gilt er für die Muslime, die der sunnitischen Glaubensrichtung folgen, als eine der höchsten Rechtsautoritäten.
Seines Einflusses bewußt, forderte der Scheich nun alle islamischen Staaten dazu auf, in Peking bei den Punkten im Abschlußdokument, die dem islamischen Recht widersprechen, Einspruch einzulegen. Er schoß sich dabei auch gleich auf das Frauentreffen ein.
Die Konferenz sei ein Glied in einer Kette, mit der ein neuer Lebensstil geschaffen und den religiösen Werten widersprochen werden solle. Sie zerstöre alle tiefverwurzelten moralischen und traditionellen Beweggründe des Handelns. „Traditionen“, so der Scheich, „die viele Völker und Staaten verteidigen, um nicht in die Tiefen der sexuellen Korruption und den Morast des Verfalls zu stürzen.“
Auch für die Autorinnen des Abschlußdokuments hatte der Scheich ein harsches Wort übrig. Sie hätten die Dreistigkeit, sich in Wortspielen zu verstricken und die Bedeutungen von Begriffen zu verdrehen. Besonders stößt ihm dabei das neutrale Wort „Geschlecht“ auf.
Dutzende Male im Dokument verwendet, ziele das Wort darauf ab, die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu verwischen. Ohnehin, so Gad al-Haq, zweifeln die Autorinnen daran, daß die Familie die grundlegendste Einheit der Gesellschaft bilde. Selbst Homosexuellen werde erlaubt, eine Familie zu gründen.
Dem Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr widmet sich der Scheich ganz besonders. Die Autorinnen bezeichnen außereheliche sexuelle Aktivitäten von Jugendlichen als deren persönliche Angelegenheit. Eltern hätten sich da herauszuhalten. Gad al-Haq sieht darin eine schändliche Dreistigkeit, die das Konzept der Familie, wie es in den Religionen festgelegt ist, für altmodisch erklärt, weil es keinen freien Sex in allen Altersstufen erlaube.
Mit der Gleichheit von Mann und Frau möchte sich der Scheich ebenfalls nicht abfinden. Explizit erwähnt er in seiner Erklärung das Erbrecht, bei dem es nach klassischem islamischen Recht keine Gleichheit geben kann. Doch auch über weit bescheidenere Dinge machen dem Azhar-Vorsteher Sorgen. Der Gedanke an einen Vaterschaftsurlaub als Alternative zur freigestellten Mutter scheint ihm völlig absurd.
Gad al-Haq hatte bereits im September letzten Jahres die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo mit dem Argument angegriffen, daß sie außerehelichen Geschlechtsverkehr und Abtreibungen fördere. Schon im Vorfeld des Treffen kam es zu einem ideologischen Bündnis zwischen den Vertretern der Azhar-Universität und dem Nuntius des heiligen Stuhles in Rom.
Der oberste Azhar-Scheich hat sich außerdem durch zahlreiche konservative Rechtsgutachten, Fatwas genannt, in Ägypten einen Namen gemacht. Als der ägyptische Erziehungsminister letztes Jahr ein Gesetz erlassen wollte, in dem er Schülerinnen das Tragen des Schleiers nur noch mit Erlaubnis der Eltern gewährte, schlug Gad al-Haq zurück: Der Schleier sei eine islamische Kopfbedeckung und die Entscheidung des Ministers somit zu ignorieren.
Als dann der ägyptischen Gesundheitsminister die weitverbreitete Praxis der Beschneidung von Mädchen unter Strafe stellen wollte, erwies sich Gad al-Haq erneut als Bewahrer der Tradition. Er erließ ein Fatwa, in der er die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane als islamisch notwendig bezeichnete.
Fatwas des Azhar-Chefs sind trotz seiner hohen Position selbst unter islamischen Rechtsgelehrten umstritten. Vor allem der Mufti Ägyptens, Muhammad Said Tantawi, schrieb zu Abtreibung und Beschneidung von Mädchen immer wieder Fatwas, die der Meinung des Azhar-Scheichs diametral entgegenstanden.
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