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■ Was tun gegen die Krise? Der Keynesianismus ist nicht gescheitert. Er ist noch nicht einmal praktiziert wordenGegen den Kasinokapitalismus

Der Keynesianismus hat derzeit einen schlechten Ruf. Veraltet, untauglich unter globalisierten Voraussetzungen, so lauten die Einwände. Zu den Verdrehungen in dieser Diskussion zählt die Mär, daß das keynesianistische Modell hierzulande in den letzten Jahrzehnten die beherrschende wirtschaftpolitische Praxis gewesen sei, die nach offenkundigem Mißerfolg schließlich beerdigt wurde. Ein Irrtum.

Im Sommer 1973 stellte die Deutsche Bundesbank auf die alles dominierende Geldmengensteuerung um – und beendete damit den schüchternen Versuch, mit der Geld- und Finanzpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken. Seitdem herrscht ein beinharter Monetarismus. Auch die noch bis Ende der achtziger Jahre unternommenen Versuche, die Nachfrage mit Investitionsprogrammen auszusteuern, hatten letztlich keine Chance mehr. Unter dem ordnungspolitischen Absolutziel DM-Stabilität sind die wenigen Beschäftigungsprogramme meistens durch eine restriktive Geldpolitik erstickt worden. Seitdem steigt von Zyklus zu Zyklus die Arbeitslosigkeit stufenförmig an.

So regiert in Bonn spätestens seit 1982 die Illusion, über Lohnabbau, unternehmerischer Steuerentlastungen und Deregulierung ließe sich ein beschäftigungswirksamer Wachstumszauber entfesseln. Dabei ist mittlerweile unübersehbar: Diese angebotsorientierte Konterrevolution gegen die „keynessche Revolution“ ist gescheitert. Denn obwohl die Renditebedingungen der Wirtschaft so gut wie Anfang der siebziger Jahre sind, steigt die Arbeitslosigkeit.

In diesem Klima liegt eine Rückbesinnung auf die Grundlagen keynesscher Interventionspolitik zur Korrektur von Fehlentwicklungen der Märkte auf der Hand. Selbst der Bundeskanzler scheint mit seiner Ankündigung eines 25-Milliarden-Programms für die Bauwirtschaft zur Linderung der unzureichenden Nachfrage Zeichen zu setzen. Allerdings: Dieses Programm zur Senkung der Zinsen bei der Finanzierung von Bauvorhaben hat äußerst wenig mit keynesianischem Nachfragemanagement zu tun. Die Zinsen sind heute nicht der entscheidende Engpaßfaktor. Die Gralshüter der neoklassischen Heilslehre nehmen jedoch schon diese zarte Andeutung einer „anderen“ Wirtschaftspolitik zum Anlaß, um Spott auszuschütten – allerdings ohne ein Wort zum Scheitern ihrer Angebotspolitik hinzuzufügen.

Aber nicht nur uneinsichtige Marktradikale versuchen mit dem Schwur auf Marktdisziplin eine Renaissance des Keynesianismus zu ersticken. Im Spiegel warnen der Grüne Hubert Kleinert und der SPD-Modernisierer Siegmar Mosdorf besorgt die Linke vor der Wiederentdeckung dieser „Giftrezeptur“. Die bekannten Vorurteile werden repetiert: Globalisierung der Produktion, Verlust haushaltspolitischer Spielräume durch extrem hohe Staatsverschuldung sowie Schwinden der zinspolitischen Souveränität der Deutschen Bundesbank. Dabei gerät die flickenhafte Analyse widersprüchlich. Die Macht der multinationalen Unternehmen wächst, schreiben die Autoren – doch ihre politischen Schlußfolgerungen erweisen sich als falsch. Sie beschwören eine „Renaissance der Selbständigkeit“. Doch wie im Zuge der durch die Multis geprägten Internationalisierung Spielräume für die „neue Selbständigkeit“ geschaffen werden, bleibt rätselhaft.

So verlangt das Scheitern der Angebotspolitik auch im Zuge der Globalisierung einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Dabei bietet die weiterzuentwickelnde Theorie des englischen Lords John Manard Keynes durchaus Ansatzpunkte. Zuallererst muß Keynes jedoch gegen primitive Vereinnahmungen geschützt werden. Den Bastardkeynesianismus, der einer hydraulischen Pumpstation vergleichbar funktionieren soll, hat schon Joan Robinson, Zeitgenossin von Keynes, kritisiert. Die keynessche Theorie gibt durchaus Hinweise für ein alternatives Paradigma. Die SPD-Linke spricht zu recht von „Keynes 2000“.

Eine zentrales Argument gegen Keynes lautet, daß seine Idee der nationalen Investionslenkung mit der Globalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte passé sei. Doch es war Keynes, der in seiner „Allgemeinen Theorie“ 1936 auf den wachsenden spekulativen Charakter des Kapitalismus hinwies. Von ihm stammt der heute vielzitierte Begriff des „Kasinokapitalismus“. Unternehmen nutzen ihre Gewinne für weltweit gesuchte lukrative Kapitalanlagen. Sie fehlen dann zur Finanzierung von Sachinvestitionen und Arbeitsplätzen. Explodierende Spekulationen mit Devisen verhindern die Kalkulierbarkeit der Wechselkurse. Dagegen setzte Keynes das Modell einer Weltwährungsordnung, die Anfang der vierziger Jahre jedoch nicht realisiert wurde. In diesem Sinne ist das keynessche Paradigma immer schon global ausgerichtet gewesen. Gebraucht wird dringend eine funktionsfähige Weltwährungsordnung. Die Besteuerung spekulativer Devisenumsätze nach dem Vorschlag von James Tobin könnte ein erster Ansatz sein, die Volatilität der Wechselkurse einzuschränken.

Freilich wird die Auswirkung der Globalisierung auch meist überzeichnet. Schließlich sind immer noch knapp 70 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage binnenwirtschaftlich ausgerichtet. Und die binnenwirtschaftliche Wirksamkeit keynesianischer Nachfragesteuerung erleben wir heute unter negativen Vorzeichen. Weil beim Sozialetat drastisch gespart wird, werden gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Konjunktur geschwächt. So führt öffentliche Einsparpolitik mit dem Ziel, die Neuverschuldung abzubauen, letztlich zum Anstieg staatlicher Kreditaufnahme. Anders gesagt: Mit einer expansiven Finanzpolitik könnten die Vorzeichen umgekehrt und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sowie Beschäftigung verbessert werden.

Fazit: Den Keynesianismus totzusagen, mag in Mode sein. Aber er ist noch immer ein Reservoir für Alternativen zum zerstörerischen Neoliberalismus. Das gilt insbesondere für den europäischen Binnenmarkt, der von der rigiden, anti-keynesianischen Sparpolitik belastet wird, die der Euro mit sich bringt. Die Folge sind ökonomische Entwicklungsschwäche und wachsende Arbeitslosigkeit. Die EU könnte mit einer koordinierten Finanzpolitik, die geldpolitisch abgesichert werden muß, die realwirtschaftlichen Bedingungen verbessern. Dieser Euro-Keynesianismus ist machbar. Eine andere Alternative zur derzeitigen Vergemeinschaftung von Deflation und Arbeitslosigkeit auf dem Altar der Währungsunion ist nicht in Sicht. Rudolf Hickel

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