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Archiv-Artikel

Gegen alle Methoden des Theaters

Mit Andriy Zholdaks Bildende Kunst-Inszenierung von Ivan Turgenevs „Ein Monat auf dem Lande“ hatte die Fidena ihren absoluten Höhepunkt. Noch zwei Tage spielen internationale Objekt-Theater in Bochum. Motto: „Um Kopf und Kragen“

VON PETER ORTMANN

Kopulierende Hundeskulpturen. Schwebende Menschen an senkrechten Daniel Spoerri-Tischen. Dramaturgie aus den Angeln gehoben. Mit Theater hat Andriy Zholdaks Adaption von Ivan Turgenevs „Ein Monat auf dem Lande“ nichts zu schaffen. Der Ukrainer nutzt Bühne, Schauspieler und Requisiten als Fundstücke für traumatisch installierte Bilder einer dekadenten russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, in deren Mitte eine dünne Dreiecksgeschichte zwischen Gutsbesitzerfrau Natalia, ihrer Stieftochter Vira und dem knackigen Studenten Belyayev die überflüssigste Rahmenhandlung bildet, die eine Inszenierung haben kann.

Und dennoch paradox: Zholdak könnte die Infusion für das auf der Stelle tretende Regietheater sein, dass nach der Stückzertrümmerungs-Aera blutleer und in schneller Folge überflüssige Nachwuchs-Autoren verbraucht oder mit mundgerechten Schulbuch-Klassikern die schnöde Wirtschaftlichkeit von Musentempeln zu erreichen versucht. Der osteuropäische Bilderfetischist, dessen Arbeiten in der Heimat geliebt, gehasst und verboten werden, wird im Westen seinen Weg machen, die Theaterintendanten-Schickeria ist sensibel genug, Kontrahenten schnell ins System zu integrieren und sich die Logik der ukrainischen Inszenierungs-Evolution dienstbar zu machen. Es können Wetten darauf angenommen werden, dass Andriy Zholdak in Matthias Hartmanns Planungen für seinen künftigen Intendanten-Arbeitsplatz in Zürich schon jetzt eine Rolle spielt.

Am Mittwoch war das Schewtschenko-Theater auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses Gast der Fidena, dem Festival der Figurentheater der Nationen. Motto des Jahres 2004: „Um Kopf und Kragen“. Eingebettet in den Ruhrgebiets-Megaevent RuhrTriennale, ist Festivalleiterin Susanne Dabs jetzt finanziell in der Lage, die wirklichen Highlights des europäischen Objekt-Theaters in die Region zu locken. Bis zum Wochenende haben die Besucher Gelegenheit, die Künstler am unbelebten Gegenstand, sei es ein britisches, militantes Weißbrot oder einen überlebenden Ikarus im schwankenden, kosmischen Räderwerk, zu erleben.

Zholdaks Arbeit wird sich jedenfalls in den Köpfen eingebrannt haben. Dreieinhalb Stunden harrten die Zuschauer überwältigt still aus, bevor sich die Spannung im Jubel entladen konnte. Nur überraschend wenige konnten die kurzen Bilderszenen im Zeitlupen-Wimpernschlag nicht ertragen, und das spricht für ein eigenes Fidena-Publikum im Schauspielhaus.

„Mir wären hypnotisierte Schauspieler am liebsten“, hat Zholdak bei seiner Vorstellung gesagt und erklärt, dass Theater eine Kunst für Ausgewählte sei. Mit seiner Aufführung lieferte der Schüler vom Moskauer Theaterguru Anatoliy Vasiliev sofort den Gegenbeweis. Präzise und intensiv wie ein Kubricksches Uhrwerk ließen die scheinbar übermenschlichen Akteure und Bühnenarbeiter das Bombardement von Szenen und Requisiten über die Bühne ticken. Ein stummer Beobachter war immer zugegen, stiller Hinweis auf die Repressalien in der Heimat.