Dokumentation: Gegen Bequemlichkeit
■ Debattenbeitrag von Christian Berg
Ein Debattenbeitrag des Hansawellen-Chefs Christian Berg hat für große Aufregung bei Radio Bremen gesorgt. Intendant Klostermeier hat sich dagegen verwehrt, daß Bergs Thesen auf seine Mitarbeiter übertragen werden. Und der Redakteursausschuß verwehrte sich gegen die „verantwortungslosen und flegelhaften Äußerungen“ des Programmchefs.
Öffentlich-rechtlicher Dienst und Kreativität sind natürliche Gegensätze. Wer mit 30 bereits eine Zusage erhält, daß er bis zum Ende seines Berufslebens keine sozialen Probleme mehr haben wird, verliert den Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit; das Streben um wirtschaftliche Erfolge und soziale Sicherheit ist eine entscheidende Antriebskraft für menschliches Tun. Diese Energie wird im ÖRR künstlich oder absichtsvoll gebremst und gekappt. Egal, ob erfolgreiche Sendungen oder nicht erfolgreiche – für den Redakteur hat weder das eine noch das andere direkte Konsequenzen auf seine soziale und wirtschaftliche Existenz. (...)
Es herrscht eine Diktatur der Beliebigkeit. Ein idealer Nährboden für alles Diffuse, für Leichen im Keller, für Verbindungen, für das Diktat des individuellen Geschmacks, für Taktik, für Gefälligkeiten.
Der ÖRR muß sich aus dem Sog der gesellschaftlichen Politik- und Institutionenverdrossenheit befreien, wenn er nicht als entbehrlich angesehen werden will. Solange der ÖRR der verlängerte Arm der Politik ist, sich als solcher versteht oder sich als solcher mißbrauchen läßt, hat er villeicht eine Zukunftschance wie die öffentlichen Theater – ungeliebt, aber als kulturelles Feigenblatt gerade noch gut zu gebrauchen. Der ÖRR hat eine bessere Perspektive verdient.
Es muß zunächst (und schnell!) das öffentlich-rechtliche Programm von Öffentlicher Dienst-Analogien entkoppelt werden. Der ÖRR muß sich selbst seiner Funktion als „beschützende Werkstatt“ und „Versorgungsinstitut mit gelegentlichem Sendebetrieb“ berauben. Es muß betriebswirtschaftlich, marktwirtschaftlich und effektiv gearbeitet werden. Leistung muß direkt honoriert, fehlende Leistung muß sanktioniert werden können. Der richtige Maßstab dabei ist nicht Quote an sich, sondern das klar zu definierende jeweilige Programmziel.
Das heißt nicht, daß z.B. kulturelle Programme am Fließband entstehen müssen. Das heißt aber wohl, daß z.B. kulturelle Programme nicht nur deshalb unvergleichbar teuer sein dürfen, weil die öffentlich-rechtlichen Produzenten Kontrolle als „Eingriff in künstlerisch intellektuelle Freiheiten“ ablehnen, sich um Geld nicht scheren wollen oder sich selbst einen natürlich nicht zu kontrollierenden kreativ-schöpferischen 5-Stunden-Tag verordnen...
Aus einer inneren Umkehr des öffentlichen-rechtlichen Selbstverständnisses könnte in weiteren Schritten vielleicht sogar ein ganz neuer öffentlich-rechtlicher Rundfunk entstehen, der aus großen und schwerfälligen „Apparaturen“ bewegliche und flexible Dienstleistungsagenturen macht.
An deren Spitze ein öffentlich-rechtlicher, geschäftsführender „Vorstand“, gewählt vom „Aufsichtsrat“, den jetzigen Gremien. Der „Vorstand“ wachte über die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Programmziele und -aufgaben, er definierte und kontrollierte das Angebot an Seher und Hörer. Mehr nicht. Das Programm selbst, Technik und Verwaltung würden von privatwirtschaftlichen Anbietern, Mitarbeiterfirmen (!!) etc. nach den Richtlinien des ÖRR-Vorstandes hergestellt und eingekauft. Dafür würden die Gebühren verwendet. Radio Bremen wäre dann vielleicht keine 600-, sondern nur noch eine 30-Personen-Anstalt, der WDR nicht mehr 4000er, sondern vielleicht ein 200-Personen-Institut.
Die höchste ÖRR-Managementebene ist auch heute noch zu häufig besetzt mit Menschen, die am Ende eines langen Berufslebens mit vor allem repräsentativ und politisch kontrollierend verstandenen Posten „belohnt“ werden. Gebraucht werden aber öffentlich-rechtliche Top-Manager, die sich im geistigen Unruhestand befinden, die Zukunfts-Konzepte entwickeln, Ziele und Positionen für das System selbst und für einzelne Anstalten formulieren, Verantwortung übernehmen und Konsequenzen tragen (!!). Führungskräfte, die Erfolge nachweisen wollen und müssen, um sich beruflich (und wirtschaftlich) weiterentwickeln zu können.
Christian Berg
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