: Gefangene Töne
■ Heimatklänge: Stella Chiweshe & the Earthquake im Tempodrom
Die Musik vibriert im Kopf. Er wird größer, und schon spüre ich die Innenwände meines Schädels als Resonanz des zum Klingen gebrachten Holzes. Ein Hohlraum im Körper wird erfaßt, der mit Sprache immer nur falsch wiederzugeben ist, weil die Erfahrung sich an der Außenwand des eigenen Körpers spiegelt. Die Mbiramusik jedoch, also das am Holz zum Klingen gebrachte Eisen, dringt in den Körper ein wie eine viel zu schwere Last.
Blau ist die Farbe der Königinnen. Stella Chiweshe, die Königin der Mbira, ist in leuchtend metallisches Blau gekleidet. Sie ist in Simbabwe eine der bekanntesten Musikerinnen. Sie spielt das Daumenklavier, das korrekt Mbira heißt. Es besteht aus einer metallenen Tastatur mit zwischen 10 und 30 Tasten und einem Hohlraum, der als Resonanzkasten dient. Normalerweise wird ein ausgehöhlter Kürbis dafür benutzt. Die Mbira wurde nur von Männern gespielt, bis Stella Chiweshe durchsetzte, daß auch sie dieses Instrument spielen durfte. Zwei Jahre habe sie dazu gebraucht, bis ihrem Wunsch nachgegeben wurde und ein Onkel ihr das Mbiraspielen beibrachte. In der Geschichte, die sie zum Mbiraspiel führte, läßt sich Mythos von Wirklichkeit nicht mehr trennen. Ihr Urgroßvater nämlich war ein Medium gewesen und hatte vorausgesagt, daß eine Frau in seiner Familie dieses Instrument spielen würde. Stella Chiweshe spürte eines Tages einen Schmerz in ihren Händen. Sie stellte fest, daß ihre Hände sich nicht von den Händen von Männern unterschieden und es daher also keinen Grund geben konnte, warum sie die Mbira nicht spielt. Der Schmerz ließ erst nach, als sie es endlich lernen durfte. Da war sie zwanzig.
Simbabwe wurde 1980 unabhängig. Davor war es eine britische Kolonie gewesen. Unter kolonialer Herrschaft war das Mbiraspiel lange verboten gewesen. Wenn man ein Volk unterdrücken will, muß man ihm seine Musik nehmen. Stella hat ungefähr 15 Jahre lang die Mbira illegal gespielt. Sie spielt traditionelle Lieder, aus Afrika oder auch eigene Kompositionen und Lieder, in denen sie den Alltag besingt. Ihr Instrument erlaubt ihr, die Lieder immer wieder neu zu variieren.
Stella Chiweshe spielt mit sechs in rote Hemden gekleidete Herren in der Band Earthquake zusammen. Dabei wird ein weiteres traditionelles Instrument, die Marimba benutzt, aber auch Baßgitarre und Schlagzeug. Die Sonorität der afrikanischen Instrumente mischt sich dadurch mit der Leichtigkeit der vom Pop beeinflußten Rhythmen. Aber die Leichtigkeit täuscht. Es gibt keinen Rhythmus, der nicht durch seine Abweichungen lebte, keinen schlagenden Beat, der durchgehalten würde. Das macht es so schwer, die Musik im Körper zu ertragen. Die Brüche in den Bewegungen lassen sich auch an den verschiedenen Tänzen sehen, die die Band vorführt. Der Widerspruch zwischen Aufrechtgehen und Auf -vier-Beinen-Gehen, der Unterschied zwischen Hoch und Tief, zwischen Waagerecht und Senkrecht ist das Moment im Tanz, das die Parallelität der verschiedenen Rhythmen, die gleichzeitig gespielt werden, sichtbar macht. Nur langsam geben die Innenwände des Körpers dem Druck nach und lassen die Musik zu.
Vor ein paar Jahren muß es auch den Leuten der Rockgruppe „Die Dissidenten“ zu lange gedauert haben, bis die Musik wirkte, denn in typisch chauvinistischer Manier nahmen sie eines der Lieder von Stella Chiweshe, gaben ihm einen anderen Titel und mischten Syntheziser und Schlagzeug dazu. Das Ganze veröffentlichten sie auf einer Platte, ohne Stella Chiweshe zu fragen, ob sie mit den Veränderungen einverstanden war. Sie wäre damit nicht einverstanden gewesen.
Stella Chiweshe ist nicht nur Musikerin, sie ist auch Sängerin und Tänzerin. Jahrelang war sie Mitglied des nationalen Tanztheaters von Simbabwe. Ihre Musik ist Musik des Körpers. Je länger die Band spielt, je länger Stella Chiweshe das Holz und das Metall zum Klingen bringt und dazu singt, desto besser finden alle Beteiligten einen Ausweg für die gefangene Musik. Der Schlagzeuger wird zum Langstrecken -, der Marimbaspieler zum Hürdenläufer, der Trommler überwindet die Schwere seiner Hände wie ein Schmied. Die Gitarrenspieler sind meinem Blick entzogen, aber Stella Chiweshe treibt den Klang weiter aus seiner hölzernen Höhle und aus ihrem hellen, erdigen Mund.
Waltraud Schwab
Stella Chiweshe spielt noch bis Samstag im Tempodrom. Am Sonntag nachmittag auch vor dem Haus der Kulturen der Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen