: Gefangen im Atomrecht
■ AKW Krümmel geht wieder ans Netz und der Energieminister vor die Bevölkerung / Keine Beweise für Leukämie-Verursachung Von Marco Carini
Enttäuschung, Wut. Als gestern abend Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller vor die Geesthachter Bevölkerung tritt, um das Comeback des Atomreaktors Krümmel zu verkünden, schlagen ihm Frustration und Ratlosigkeit entgegen. „Ich sehe rechtlich keine andere Möglichkeit als die Zustimmung zum Wiederanfahren zu geben,“ verkündet der Minister kleinlaut. Die Antwort folgt sofort: „Es geht hier nicht um juristische Spitzfindigkeiten, sondern um das Leben von Menschen.“
Das Spiel ist aus. Die Risse im Rohrsystem des „Krümmel-Monsters“ sind repariert, wie es sich die Kieler Aufsichtsbehörde vorgestellt hat. Eine Untersuchung der radioaktiven Emissionen des Kraftwerks durch das atomkritische „Darmstädter Ökoinstitut“, von den Krümmel-GegnerInnen in der Elbmarsch einst vehement gefordert, entpuppte sich als Bumerang. Kein Hinweis auf bisher unbekannte radioaktive Freisetzungen. Kein Hinweis auf einen Störfall. Kein Hinweis auch auf Lücken im Überwachungssystem. Und nicht das leiseste Indiz auf eine Manipulation der Kraftwerksunterlagen. Claus Möller: „Die Tendenz des Gutachtens ist ganz eindeutig.“
Die rund 130 ElbmarschbewohnerInnen, die sich gestern im Geesthachter Rathaus versammelt haben, um mit Möller zu streiten, lassen nicht locker. Kritik wird laut, daß die Wiederanfahr-Entscheidung getroffen wurde, ohne daß die 350-Seiten-Studie aus Darmstadt, und nicht nur ihre Kurzfassung, dem Kieler Energieministerium vorlag.
„Wann wird endlich die Beweislast umgekehrt“, fragt einer der Veranstaltungsteilnehmer, „damit die Kraftwerksbetreiber nachweisen müssen, daß sie nicht verantwortlich sind für die Leukämiefälle“. Eine Frau sieht Möller „von den Hamburgischen Electricitätswerken durch Schadensersatzdrohungen erpresst“. Dem Minister bleibt bei all dem nur eines übrig: Immer wieder auf den „engen rechtlichen Rahmen“ zu verweisen, „den ich nicht ändern kann“.
Der Minister im Atomrecht gefangen, die Krümmel-AnwohnerInnen ratlos und wütend, die Atomlobby frohlockt. Auch HEW-Sprecher Johannes Altmeppen läßt es sich nicht entgehen, die Geesthachter Veranstaltung zu besuchen und kübelweise Häme über die Kraftwerks-GegnerInnen auszuschütten: Die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake „habe sich der Scharlatanerie überführt“, ihre „Störfall-These sei wie ein Kartenhaus zusammengebrochen“. „Wann“, setzt Altmeppen noch einen drauf, „entschuldigt sich diese Frau endlich bei allen Menschen, die sie in die Hysterie getrieben hat?“.
Ganz ausgeschlossen aber ist es immer noch nicht, daß die hohe Blutkrebs-Rate in der Elbmarsch atombedingt ist. Nun will die Kieler Landesregierung, auf Initiative des Ökoinstituts, das nur 1,5 Kilometer von Krümmel entfernte GKSS-Forschungszentrum als möglichen Leukämieverursacher ins Visier nehmen. Ob von den zwei kernkraftbetriebenen Minireaktoren der GKSS, einer davon seit 1992 außer Betrieb, radioaktive Emissionen ausgingen, soll nun untersucht werden.
Umweltschutzorganisationen kritisierten die Entscheidung des Ministers vehement. Die Wiederinbetriebnahme „des Leukämiereaktors“ sei ein „weiterer Schritt in eine strahlende Zukunft“, erklärten Robin Wood, Eltern für unbelastete Nahrung und die BI gegen Leukämie in der Elbmarsch in einer gemeinsamen Presseerklärung.
Siehe auch überregionalen Teil
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